Sonntag, 29. August 2021

Das Tränental verlassen

 Ich gehe weiter und um den Füßen nicht zuviel zuzumuten fahre ich von Bologna 5 km mit dem Bus, um den langen Asphaltstraßen zu entgehen. Ich laufe in den Parco dei Gessi Bolognesi nach Settefonti. Das Wetter ist herrlich und nach 5 km Asphalt kommen endlich Schotter- und Waldwege. Oben auf dem Kamm habe ich eine geniale 360° Rundumsicht. Links die flache Ebene und rechts die Hügel und Berge. Ich bin begeistert und schaue mich um. 





Da die Etappe kurz ist, bin ich schon früh bei meinem Agritourismo ( Bauernhof) und platze in das Essen der Gastgeber. Ich warte bis sie fertig sind und bekomme einen Krug kaltes Wasser. Danach ist Bezahlung und Einweisung. Mir wird erklärt, dass mein Essen in den Kühlschrank gestellt wird und ich Essen kann, wann ich mag.



Ich dusche, ruhe aus und gehe mir in der Küche einen Kaffee kochen. Ich finde eine "Espressomaschine" für den Herd und probiere aus, wie sie funktioniert. Ich schaffe es, mir einen Espresso zu kochen und esse dazu einen Muffin, der fürs Frühstück gedacht ist. Mein Abendessen ist das selbe, wie das was Mittags auf dem Tisch stand. Eine neue Erfahrung.


Für 50€ incl. HP sehe ich nicht ein, dass ich das Geschirr abwasche, obwohl die Aufforderung dazu am Kühlschrank steht! Aber ich verstehe kein Italienisch. Ich sehe auch niemanden mehr und so lese ich ein deutsches Buch  dass ich in der Küche fand. 

Der Hof selbst liegt ruhig, es gibt Pferde, freilaufende Schafe und Schweine und einen großen Schäferhund, der mich genau wie die Gastgeber ignoriert. 




Die Nacht war kurz, denn 22 Ihr kam eine Gruppe, die lärmend einzog und erst gegen 24 Uhr davon fuhr. Da mein Fenster offen stand hatte ich live- Beschallung.
Ich mache mir Frühstück und verweile nicht sehr lange an diesen zwar sehr schönen, aber auch sehr unpersönlichen Ort. Heute sehe ich Wolken und am Horizont Regenschleier.


Ich laufe schon recht früh durch die beeindruckende Landschaft und sauge die Bilder ein. Es raschelt im Dickicht neben mir und ich sehe einen Schatten.  Plötzlich grunzt es und ein Wildschwein läuft über den Hang an der gegenüberliegenden Seite. Ich sollte besser nicht so früh starten.
Ein ganz, ganz kurzer Regenschauer lässt die Erinnerung an den Geruch der Sommererde nach dem Regen wach werden. Aber er hält nur kurz vor. Die Wiesen sind hier alle verbrannt und die Weinberge haben Bewässerungssysteme.
Ich komme an einer kleinen Kirche in Varignana - Palesio vorbei und halte kurz inne.



Es geht weiter am Kamm entlang und der Asphalt hat heute wieder die Vorherrschaft. Da die Betten den Weg bestimmen, ist die heutige Etappe auch nur kurz.



 
So bin ich schon in der Mitragszeit in Liano und beziehe dort ein wunderhübsches Zimmer in der Osteria " Da Cesare". Das Mohnblumenzimmer, in rot gehalten, mit Mohnblumenbild und einem sehr geschmackvoll gefliesten Bad. 



Ich bin begeistert.  Nachmittags sitze ich im Garten und genieße die Ruhe. Für Abends habe ich einen Tisch reserviert. Heute Mittag war das Restaurant brechend voll, obwohl es hier keinen Ort drumherum gibt. Dann sitze ich im Restaurant und habe ein Problem: alles ist irgendwie mit Speck, Schinken, Salami... Ich frage die Kellnerin, was vegetarisch geht und sie empfiehlt mir Nudeln mit Zuccini und Zucciniblüten ohne Speck. Dazu ein Weißwein. Sehr lecker.



Danach noch ein Dessert und ein 2. Glas Wein. Ich sitze, schaue mich um, sehe die vielen Leute um mich, verstehe ein paar Satzteile und...fühle mich total glücklich. Ich freue mich hier zu sitzen, in dieser genialen Landschaft und bin überhaupt nicht mehr einsam. Was für eine Erkenntnis! Ich habe das Tränental durchwandert.
Morgens stehe ich auf und empfinde wieder diese Euphorie, weiter gehen zu dürfen. Die Sonne lacht, die Temperaturen steigen und vor mir entfalten sich die Berge und Täler, die ich heute auf- und ablaufe.




Weit und breit kein Haus, aber Straßenschilder. Die 6 Briefkästen lassen Häuser irgendwo im Nirgendwo vermuten.😄


Es kommt wie es kommen muss, ich verlaufe mich mal wieder, weil die Beschreibung für mein Hirn etwas unverständlich ist. Von der Kirche links...ja welches links? Mit Bauch oder Rücken zur Kirche?
Ich bin mir unsicher und nehme das Bauch- Links. Nach 2 km müsste ein Abzweig kommen...Fehlanzeige. Zurück und das Rücken- Links bringt mich zu selbigen. Es geht steil bergauf und die Weitblicke lassen mich jauchzen. Wasser wird heute wieder literweise eingefüllt und ausgeschwitzt. Dann endlich, nach vielen, vielen Asphaltkilometern kommt ein Wanderweg. Die Füße fliegen, das Herz ist weit und der Weg ist wildromantisch. Schmetterlinge von klein bis handtellergroß umflattern mich freudig. Riesenlibellen, hubschrauberähnlich brummen über den Weg und die Hagebutten bzw. Brombeerruten wollen mich mit ihren Dornen festhalten. Doch ich stürme vorwärts.
 





Noch einmal vom Weg abkommen und dann über den Fluss und nach Borgo Tossignano,  wo ich auf einen Kaffee hoffe. Leider alles zu. 


So laufe ich noch 3 km steil bergauf nach Tossignano, wo ich von Guliano ein Appartement mieten kann. Die hiesige Bar hat auch geschlossen und ich denke über Fasten nach. Doch mein lieber Vermieter fährt mich mit dem Auto zum Supermarkt. So kommt es, dass ich viel zu viel einkaufe, weil ich Hunger habe. Was soll's, das nehme ich morgen als Proviant mit und sollte ich mich richtig verlaufen,  verhungere ich wenigstens nicht.



Heute morgen war etwas anders als sonst. Der Himmel war mit dicken Wolken verhangen und die Sonne versucht vergeblich sich durchzudrängen. Dabei sind gemütliche 20°C.


Ich laufe zuerst einmal 1,5 km bergab, um in das nächste Tal zu kommen und dann geht es 3,5 km steil bergauf, einen wunderbaren Wanderweg entlang. Im Wald attackieren mich die Fliegen und Bremsen und ich muss viel um mich schlagen, um mein Blut zu retten.


Kaum bin ich oben, führt mich der Weg hinab und ich sehe auf der anderen Seite, wie sich der Kalkabbau in den Berg gefressen hat.
 

Ich komme nach Borgo Rivola und nun beginnt es richtig schön zu regnen. Also das Regencape raus und weiterlaufen. Hier sehe ich Weinberge, Kiwiplantagen, Granatapfelbäume und  Zuccini- Kürbis- und Melonenfelder. An die Weintrauben komme ich, die Kiwis und Granatäpfel sind leider noch nicht reif.


Es geht wieder richtig hoch und dann passiert wieder ein Lesefehler. Es heißt an einer Pfadgabelung den rechshaltend ....bedeutet für mich rechts. Der 2. Pfad geht auch nach rechts, aber nicht so extrem rechts. Also laufe ich hoch und komme auf einen schmalen Kammpfad, der Schwindelfreiheit erfordert und wundere mich...wo soll hier bitte ein Forstweg lang kommen? Kein Empfang, sodass die Technik nicht helfen kann. Also zurück und aufgepasst. Der Weg ist inzwischen nass und klitschig. Ich habe leichtes Muffensausen. Komme zurück und nehme den weniger rechten Pfad und da kommt tatsächlich ein Forstweg.  
Der Wald ist herrlich und ich schwitze vom vielen hoch und runter im Regencape. Nix ist mehr trocken.




Ich komme aus dem Wald raus und sehe im Weinberg neben mir einen Hund. Weit und breit ist niemand. Ich schaue ihn mir näher an und denke, dass ist ein " komischer Hund" zu lange Beine und zu dünn. Zwischen uns ist nur eine Böschung. Das Dickicht ist bald höher und so kann ich ihn nicht mehr sehen und wundere mich, dass er nicht bellt ( wie jeder italienische Hund bisher). Plötzlich läuft er 30m vor mir aus dem Dickicht und mir wird plötzlich klar, dass es ein Wolf ist. Luft anhalten. Der Wolf schaut und rennt dann per die Straße in den Wald zurück.
Ich beruhige mich.
Nun geht es noch einmal steil bergab und ich muss mich entscheiden. Der Weg wird klitschiger  denn es schüttet weiter. Ich habe noch 9 km durch den Wald hoch und runter vor mir, oder ich entscheide mich für die Straße und lasse mich, wie vereinbart von Luciano abholen, weil ich hier vor Ort kein Bett gefunden habe.
Es ist zwar erst Mittag, aber 25km mit je 1200 HM hoch und runter liegen hinter mir. Pause war wegen des Regens nicht und so entscheide ich mich für die Straße und will Luciano eine Nachricht schicken. KEIN EMPFANG! 
Ich gebe die Koordtrotzdem ein und hoffe, dass es beim Laufen irgendwo ein Netz gibt. Es klappt. Kaum bin ich an der Kreuzung  kommt mein Chauffeur und sackt mich klatschnass ein. Ich erzähle ihm von meiner Begegnungmit dem Wolf und er meint: ein Wolf sei keine Gefahr, nur wenn drei oder vier kommen. Der Mann hat Nerven! Ich bin noch ein paar Tage im Wald unterwegs! Er fährt mich zum Hotel und checkt mich auch noch ein. Für seine Freundlichkeit bekommt er den vorletzten Schmunzelstein und per WhatsApp die Geschichte in ita6übersetzt.
Herrlich ist so eine heiße Dusche nach dem Regen.


Zwischen zwei Schauern laufe ich noch einmal durch den kleinen Ort Brisighella.  Sehr hübsch anzuschauen.








Samstag ausschlafen geht nicht in Italien. 6 Uhr holt mich der Presslufthammer vor der Tür aus dem Schlaf und danach lebt das Hotel auf: Küchenklappern, Türen schmeißen, italienisches Radio auf Stadionlautstärke und ein temperamentvolle Ehekrach im Nachbarzimmer, italienisches Temperament pur! Also raus, frisch gemacht und ein übersichtliches Frühstück genossen. Regencape über und losgeststapft. Der Himmel ist bleigrauwolkenschwer und es regnet gleichmäßige Bindfäden. 16°C zeigt das Thermometer und ich denke kurz an Leipzig, wo Holger von den gleichen Temperaturen sprach. Unter meinem Regenkleid ist es trotzdem mollig und ich laufe aus dem Ort berghoch und natürlich auf die höchste Anhöhe in der Gegend. Ein Hase kreuzt meinen Weg und ist völlig ungefährlich.










Der Ausblick ist sicher traumhaft, aber heute wolkenverhangen. Ein kurzer Aufriss zeigt mir, dass mein Draht zum Himmel immer noch stimmt. Ich bin schon Mittags in Modigliana und laufe durch das Örtchen, weil ich die " Schwestern der heiligen Familie " nicht in der Siesta stören möchte. 





Auf einer Bank spricht mich ein Mann an und wir " reden" mit einem Gemisch aus Englisch,  Deutsch,  Italienisch und lachen viel. Ich frage nach seinem Namen und er heißt BRUNO. Wie lustig, Bruni trifft Bruno
Das ist ein Foto wert. 


Bruno fragt, was ich heute Abend mache. Ich sage Pizza essen und zeitig schlafen gehen. Er fragt, ob wir zusammen Pizza essen gehen wollen. Ja  klar gerne. Wir verabreden uns für 18 Uhr( was eine völlig untypisch Zeit in Italien ist. )
Dann gehe ich zu den Schwestern, erkläre mein Begehr und niemand weiß von nix. Ich zeige meine Mail und erfahre, dass ich die Schwestern in La Verna angeschrieben habe und nicht hier.  Ups, Magendruck...ein Problem. Mit Hilfe eines Mannes, der gerade in den Flur kommt, erkläre ich mein Problem und den bisherigen Pilgerweg. Diese Geschichte öffnet mir das Herz der Schwester und ich bekomme ein Zimmer für eine Nacht. Grazie Mille!



Ich treffe mich mit Bruno und es ist ein netter Abend,  der mir wieder zeigt, dass nicht der gesellschaftliche Status den Menschen ausmacht, sondern seine Empathie. Bruno hat Geduld mit mir und dem Übersetzer und so " unterhalten " wir uns über Familie,  Sport und italienische Schriftsteller. Bruno ist Saisonarbeiter in der Landwirtschaft und hat immer Arbeit von März/ April bis November. Danach bekommt er 40% seines Lohnes Unterstützung vom Staat. Er ist mit seinem Leben ganz zufrieden, nur die Frau an seiner Seite hat er verpasst. Ich wünsche ihm, dass er sie noch findet.


Heute nun die letzte Etappe auf dem Antoniusweg nach Dovadola. Aber zuerst einen Americano und ein Brioche crema in einer der drei geöffneten Bars am Hauptplatz. Dann geht es gestärkt, wie immer nach oben. Sonne, 25°Maximaltemperatur und ein leichter Wind lassen mich frohlocken. 



Oben habe ich wieder herrliche Ausblicke und am Passo Trebbio geht es zu wie bei der Tour de France, Radfahrer keuchen oder flitzen an mir vorbei, je nachdem, ob sie hoch oder runter fahren und dann noch Motorradfahrer. Es ist Sonntag! 




Bald kann ich auf eine Schotterstraße abbiegen, die mich auf eine Wiese mit 300°- Blick führt und dort genieße ich mein Päuschen.



Weiter geht es zum Eremeo di Montepaolo, die Kirche und Einsiedrlei bestaunt, um dann die letzten 6 km nach Dovadola zu laufen.



Die Pilgerherberge habe ich für mich alleine, aber es fehlt an warmen Wasser. Also eine kalte Minimaldusche.

In dieser Gasse ist die Herberge...schön ruhig.

 Im der Herberge gibt es noch nicht viel, aber jede Menge Putz- und Desinfektionsmittel. Unter anderem auch einen Bettwanzenspray! Meine Alarmglocken schrillen! Ich suche mir Bett Nr.3 aus und sprühen alles von oben und unten, rechts und links ein. Nur kein Risiko! Ich finde frisches Bettzeug ( ich stöbere tatsächlich inzwischen in fremden Schränken rum) und beziehe es noch neu. 





Abends gehe ich zur Pizzeria des Ortes und esse zur Abwechslung eine Pizza 4 Fromaggio. Abwechslung muss sein. Ich glaube, ich kann zu Hause nie mehr Pizza essen, denn so dünn und knusprig wie hier der Boden ist, kriegt es niemand hin.



Morgen beginnt der Franziskusweg und es sind nur noch 550km bis Rom!