Mittwoch, 6. September 2023

Und täglich grüßt das Murmeltier

 Der Sternenhimmel am Abend war gigantisch. Ich war erstaunt, wie fern er aussah, obwohl wir so weit oben sind. 

Die Nacht war besser, aber nicht optimal, da mir ständig warm ist. Holger hat Angst hier zu erfrieren und deshalb blieb das Fenster zu. Ich bin eine Frischluftfetischistin und leide still.

Morgens gehe ich zur Laude. Holger bleibt im Bett liegen. In der Krypta bin ich der einzige Gast. Nur die Klostergemeinschaft und zwei Angestellte wohnen dem Gebet bei. Ich genieße die Ruhe, versenke meinen Blick in eine elegante Pilgerstatue und lausche dem Gesang, der vom Gewölbe wunderbar vervielfältigt wird. Diese innere Ruhe lässt mich freudig in den Tag blicken.

Das Frühstück: Kaffee und Marmeladenbrot ist schnell verzehrt und so starten wir um halb neun in einen weiteren sonnigen Tag. Im Moment geht noch ein frisches Lüftchen, doch sobald wir zwischen den Felsen sind ist er weg.

Wir überqueren die Grenze zu Italien und der Abstieg beginnt. Ein Blick zurück auf das Refugio muss noch sein.



Zuerst geht es steil zwischen Geröll und über Steine nach unten zur Passstrasse. Diese queren wir mehrmals, doch auf dieser Seite hat sie mehr Platz und schlängelt sich in weiten Bögen nach oben, sodass wir uns trotzdem allein in dieser herrlichen Bergwelt wähnen. Die Sonne gewinnt an Kraft und ich bin wiederholt im Bergflow. Die Aussichten sind grandios und aus jedem Blickwinkel anders schön.



Plötzlich entdeckt Holger auch heute ein Murmeltier in der Sonne. Schnell die Kamera gezückt...

Langsam wachsen zwischen den Steinen wieder verschiedenste Gräser und die Sonne funkelt in den Tautropfen. Svarowski- Funkelwelten lassen uns lächelnd staunen.



Später haben wir zwei Varianten, den offiziellen kürzeren Weg oder etwas länger und dafür schönere Panorama- Ansichten. Da heute die Etappe eher kurz ist, entscheiden wir uns für den Panoramaweg. Es geht steil bergauf, bevor er gemächlich, immer schmaler werdend, am Abhang entlang führt. Holger muss in die Ferne blicken, denn seine Höhenangst kommt ein bißchen vorgekrochen. Mir macht es zum Glück nichts aus und so genieße ich sogar den kurzen Geröllhang.




Bald danach erreichen wir zur Baumgrenze und laufen durch einen sommerlich, nach warmen Kiefernadeln duftenden Wald. Erst geht es gemächlich bergab, doch die letzte Strecke führt sehr steil und eng in Serpentinen hinunter. Dabei ist es hin und wieder rutschig, sodass wir uns konzentrieren müssen. Da ich nicht im Slalom laufen kann, setze ich die Füße immer schräg, um die Knie zu entlasten.


Unten kommen wir direkt am Ortseingang von Saint Rhemy- en- Bosses an und mir zittern die Oberschenkel von der Anstrengung.

Der Ort begrüßt uns mit hübschen Laternen und einer sehr eigenen, interessanten Architektur.



Die Steinhäuser haben riesige Dachschindeln aus Stein und wunderhübsche Kaminaufbauten. In die kleine Kirche treten wir ein und freuen uns, hier zu sein.


Der Ort ist blitzsauber und vor dem Hotel Suisse lädt eine Bank zur Kaffee/ Bierpause ein. Der Preisunterschied ist verrückt. Gestern kam ein Bier 8 Franken, hier zahlen wir für ein Bier und einen Cappuccino 6€. Hurra Italien, wir kommen gerne.

Ich reibe meine Oberschenkel mit Pferdegel ein, bevor wir  aus dem Ortsteil bergab auf einen Forstweg weiter in den Hauptort laufen.

Auf einer Wiese über uns dösen zwei Esel im Schatten.


An einem Wasserbrunnen hat ein älterer Mann einen Pilgerzählpunkt eingerichtet und verteilt hier einen Stempel. Aus seiner Statistik erfahren wir, wieviel Pilger welcher Nation hier bis zum 31.08.2023 vorbei gelaufen sind. Auch wir tragen uns in das Erfassungsblatt mit Name, Nation, Start- und Endpunkt sowie Motivation ein. Der Herr ist sehr freundlich und wünscht uns: Buen camino!


Wir kommen an einem schönen Chambre d' hôtes vorbei und erfreuen uns an dem herrlichen Anblick.


Nun geht es auf einem breiten, befestigten Weg bergab. Neben uns fließt der glasklare "Ru Neuf" entlang. Als Ru bezeichnen die Bewohner des Aostatals kleine Bäche und Bewässerungskanäle, die seit dem 12.Jh Teil der bäuerlichen Kultur sind. Sie führen Oberflächen- und Schmelzwasser in sanftem Gefälle ins Tal und dienen der Bewässerung.

Über eine bunt blühende Wildblumenwiese geht es weiter bergab nach Saint Oyen. Hier taumeln Schmetterlinge in allen Farben und Größen zwischen den Blüten hin und her. Vor unseren Füßen hüpfen Grashüpfer, welche leuchtend hellblaue Flügel haben. ( Gestern hatten sie rote). Geckos flitzen an alten Steinmauern entlang. Was für eine Idylle! 

.

Durch Saint Oyen laufen wir weiter nach Etroubles, wo wir auf einer Bank eine kleine Pause einlegen. Im Ort finden wir tatsächlich, auch hier, Gullideckel aus Pont-a- Mousson. Wer meine erste Pilgerreise nach Santiago de Compostella verfolgt hat, kennt die Geschichte.😄




Nun kommt der letzte kurze Anstieg für heute, bevor es auf einer alten Straße  nach Echevennoz geht. Hier übernachten wir im Ostello. Das Pilgerzimmer hat sechs Betten und zwei davon gehören uns.

Zwei Holländerinnen sind schon da und ruhen sich aus. Sie sind in Reims gestartet und wollen bis Rom. Ich beneide sie und gebe ihnen den Tipp für die Papstaudienz.

Für uns beginnt jetzt der ruhige Teil des Tages. Die Wäsche hängen wir in die Sonne, ins Gemüse, gegenüber der Unterkunft. 

Dann heißt es Geduld bis 19 Uhr, denn erst dann gibt es Abendessen. Mir knurrt der Magen, aber ein Radler muss vorerst genügen.


Man beachte die " Höhenmeter" nach unten! 





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen