Sonntag, 30. Mai 2021

Es kommt, wie es kommt...doch meist anders als man denkt

In meinem Gasthofzimmer schlafe ich wie ein Murmeltier und wache 7Uhr auf. Die tägliche Pilgerroutine ist mir inzwischen wieder in Fleisch und Blut übergegangen und so bin ich pünktlich 8Uhr beim Frühstück. Der Tisch ist reichlich gedeckt und ich wechsel ein paar nette Worte mit der Chefin des Hauses. Da das Essen auf dem Tisch steht, zu reichlich ist und die Wirtin es nachher wegwerfen muss, frage ich, ob ich mir eine Mitnehmesemmel machen darf. Ich darf und so ist meine Mittagspause schon gesichert.
Heute hat das Wetter recht frische 8°C. Da ich gestern teilweise echt gefroren habe, ziehe ich meine langen Unterhosen unter die kurze Hose und starte in den Tag. Es soll heute trocken bleiben. Das wäre großartig. Der Weg beginnt auf einem Forstweg und vor mir läuft ein alter Mann mit einem alten Hund. Ich sehe, wie der Hund etwas beschnuppert und weiter läuft. Als ich an die Stelle komme, liegt eine Weinbergschnecke, wie ein Maikäfer auf dem Rücken, auf ihrem Häuschen. Ich drehe sie wieder um und so kann auch sie weiter ihres Weges ziehen. Mein erstes Ziel ist der Teufelstisch und ich folge der Muschelbeschilderung bis zu einer Wiese. Der Führer sagt über die Wiese, doch da ist ein Elektrozaun und dahinter grasen,noch, friedlich Kühe. Mit meinem Schritti möchte ich nicht durch den Zaun kriechen, zumal ich Respekt vor großen Tieren, egal ob Pferd, Kuh oder Elefant, habe. Ich gehe soweit es geht am Rand der Wiese entlang. Ich sehe das Teufelstisch- Wanderzeichen und denke, alles ist gut. Ein paar Minuten später biegt der Weg rechts ab und ich stehe vor einem Flatterband: Lebensgefahr! Baumfällarbeiten! Oh nein! Auch das noch! Ich höre in den Wald und höre weder eine Säge kreischen, noch eine Axt schlagen...also kann es wohl nicht gefährlich sein. Nach ein paar Metern liegen einzelne Bäume quer über den Weg und ich sehe den Trampelpfad drumherum. Die liegen schon eine Weile hier und wurden wohl vergessen. Danach kommen ein paar richtige Baumriesen, welche den Weg bis ins Dickicht versperren. Also Rucksack in den Ästen deponiert, drüberklettern, Rucksack auf den nächsten Baum wuchten...Hürdenlauf am Morgen! Mein Parcourt geht steil nach oben und ich lande schweißüberströmt erst in der Teufelsküche (wegen Corona geschlossen😅) und dann am Teufelstisch ein. Ich muss erst einmal Luft schnappen, Brille putzen und Jacke tauschen. Ich nutze die Pause auch,um meinem Vater und meinem Schwiegervater zum Geburtstag zu gratulieren und dann geht es weiter.
Es geht jetzt steil bergab auf klitschigen Wurzelwegen und ich bin wieder über meine Stöcke sehr dankbar, da selbst die Wurzeln durch den vielen Regen extrem rutschig sind. Ich komme an den Finger, einem Aussichtspunkt,mit einer weiteren schönen Fernsicht. Hier komme ich, wie jeden Tag ,mal wieder vom Weg ab. Doch da die Richtung stimmen müsste, vertrau ich meinem inneren Kompass und siehe da, nach ca.1km stoße ich wieder auf die Markierung. Ich habe wohl irgendwo eine verpennt, denn der Weg ist hier sehr gut ausgeschildert. Ich komme nach Igensdorf, wo ich an der Kirche pausieren will. Doch hier wird gerade eine Beerdigung vorbereitet und so drücke ich nur einen Stempel in meinen Ausweis und laufe bergauf aus dem Ort. Hier oben habe ich einen gigantischen Ausblick. Weiter geht es an Kirschplantagen in den Wald. Nun kommt wieder eine steile Passage bergab und durch den glitschigen Untergrund lege ich eine " Schmittchen- Schleicher- Schritt"- Performance hin, die sicher sehr originell aussieht. Aber ich komme zügig und ohne Ausfallschritt unten an. Nun geht es über Feldwege auf den schön getrimmten, wunderbar grünen Rasen des Golfclubs Erlangen zu und es herrscht reger Betrieb, sodass ich beim Queren auf mögliche Golfbälle achten muss.
Im kleinen Örtchen Steinbach halte ich meine Mittagspause und lasse meine Gedanken fließen. Jetzt geht es flach über Forst- und Schleichwege zu einem ziemlich verrumpelten Campingplatz mit Gasthof, an dem sich der Jakobsweg aus Lichtenfels mit dem aus Bayreuth vereinigt und nun gemeinsam nach Nürnberg verläuft.Doch heute ist mein Ziel Kalchreuth. Nach dem Stempel in der Kirche besuche ich den hiesigen Bäcker und dann suche ich die Adresse von meinem Quartier. Ich habe sie nicht und rufe an, doch es geht niemand ran. Also frage ich die Bäckersfrau, ob sie meinen Gastgeber kennt. Dorf bleibt Dorf und so bekomme ich die Wegbeschreibung. Eine viertel Stunde später bin ich in einem verzauberten Garten mit wild- romantischen, lauschigen Plätzen und einem schwedenroten Bauwagen. Ein himmlischer Ort und ich hoffe ich sitze im richtigen Garten.Nachfrage per SMS ergibt ein JA! Wunderbar. Der Besitzer,Herr Geyer, ist Architekt und hat hier einen Platz für Auszeiten und für Pilger geschaffen.
Es ist total urig und ich sitze ewig am Naturteich und beobachte die Frösche. Abends werfe ich den Ofen an. Als Mädel des Ostens weiß ich ja noch wie das geht. Ich genieße den Blick aus dem Fenster auf einen großen, blühenden Weißdorn und beobachte die Vögel. Dann gehe ich schlafen, doch irgendwie fühle ich mich unsicher so ganz allein am Ende des Ortes in dem großen Garten. Der kleine Sturmhaken an der Tür vermittelt mir kein Sicherheitsgefühl. Das ist eine Probe. Ich löse es auf meine Weise, indem ich Klappstühle vor die Tür stelle.Diese würden im Fall des Falles rumpeln. So schlafe ich ein und erlebe ein magisches Morgenerwachen im Garten. Allerdings bin ich schon 6Uhr wach, weil es eisig kalt ist und ich hauchen kann. Ich heize den Ofen, krabbel in meinen Schlafsack und warte bis es warm ist. Frühstück, packen und auf in einen sonnigen Tag, der beim Bäcker beginnt. Meine Grundnahrungsmittel sind im Moment Brezen, Plunder und Rhabarber- Streuselschnecken. Wie fast jeden Tag drehe ich eine Ehrenrunde durch den Ort und meine heutige, zeitige Erkenntnis ist: Wenn die Muschel nicht unter den vielen, anderen Wegzeichen steht, wurde sie nicht vergessen sondern es ist definitiv der falsche Weg! Zwei Kilometer später komme ich auf dem Weg, an dem der Bauwagen steht wieder an. Ich hätte nur links statt rechts gehen müssen, aber dann hätte ich den Bäcker verpasst. Das wäre ja auch schade. Also laufe ich aus dem Ort an einem sehr großzügig ausgestatteten Spielplatz mit Panoramablick und Sonnenbänken vorbei in Richtung Nürnberg. An der Landstraße steht 7km bis Nürnberg. Mein Pilgerführer macht daraus 17,5 km und ich habe dies mit meinem Irrweg schon getoppt. Es geht durch den Wald und plötzlich raschelt es im Unterholz neben mir. Ich bleibe stehen und zwei Hasen hoppeln quer vor meine Füße, schauen und flitzen davon. Der Weg geht heute an gut beschilderten, ellenlangen Forstwegen entlang und ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen. 11Uhr komme ich in Buchenbühl vor einer sehr modernen Kirche an und lese ein sehr lustigen Straßennamen.
Am gegenüberliegenden Spielplatz mache ich Pause und ich finde wieder einen lieben Menschen, der mir heißes Teewasser und nette Worte schenkt. Diese Begegnungen sind für mich jedes Mal ganz berührend. Ich beobachte ein Kleinkind beim klettern und wir schäkern aus der Ferne. Parallel zur Bahnlinie erreiche ich bald den Rand der Flughafengeländes von Nürnberg. Auf dem Aussichtspunkt hat es sich eine Schaf- und Ziegenherde mit einer telefonierenden Schäferin und hütenden Hunden breit gemacht.
Über einen Waldlehrpfad, dem Ziegelsteinweg, laufe ich in Nürnberg ein und erstürme als erstes die Burg, wo mir Nürnberg zu Füßen liegt. Das Wetter ist herrlich und in Nürnberg tobt der Bär. Menschen über Menschen und nur die Masken und die Schlangen mit Abstand vor den Geschäften erinnern an Corona. Ich laufe zur Jakobskirche, wo der Pilgerstempel ausliegt, das Pilgerbüro aber wegen Corona nur Click and meet anbietet. Der erste Pilgerweg ist geschafft!! 365km bin ich gelaufen. Es fühlt sich gut an. Ich bin im Fluss.
Mein nächstes Ziel ist der Drogeriemarkt, um Fußcreme und Trockenfutter aufzufüllen. Danach laufe ich zu Holgers Cousine Pia und ihrem Freund Tim, wo ich morgen einen Pausentag einlegen werde, bevor es weiter geht. Dafür laufe ich einen Teil des heutigen Jakobsweges zurück, denn sie wohnen direkt an der Einflugschneise des Weges, was ich aber erst jetzt bemerke. Somit habe ich aus 17,5km meine 23,2 km gemacht. Irgendwie muss ich ja aufholen. Unterwegs spricht mich ein junger Mann auf die Muschel in englisch an. Ob ich auf dem Camino sei? Ja, das bin ich. So hole ich mein bissel Englisch aus der Versenkung und Warren erzählt, dass er aus Australien sei und bei Addidas arbeitet. Er findet es " amazing" und will alles wissen. Kurzer Schwatz und dann geht es zu Pia und Tim. Die Begrüßung ist herzlich und ich darf mich im Büro einquartieren. Wir trinken Kaffee und quasseln. Dann erreicht mich eine Nachricht, die alles verändert. Ein Notfall in der Familie! Ich muss zurück und es geht nicht weiter! So fahre ich nun in zwei Stunden zurück, was ich mir in den letzten drei Wochen erlaufen habe. Ich habe meine Pilgerroutine entwickelt und endlich lief es, wie es laufen sollte, doch das wichtigste im Leben sind die Menschen, die wir lieben. Rom läuft nicht weg! Ein großes Danke an alle Unterstützer und Engel am Weg! Bitte um Geduld. Die versprochen Karten aus Rom sind nicht vergessen, sie werden nur später ankommen. Die Liste wird sorgfältig aufbewahrt. VERSPROCHEN!! Ich hoffe und bete, dass ich diesen, meinen Weg irgendwann in Nürnberg fortsetzen kann. Bis dahin wird etwas Zeit vergehen und hier wird in den nächsten Wochen nichts mehr stehen. Erst wenn es wieder heißt: Ich bin dann mal weg... Bis dahin machts gut, bleibt gesund und " Nach dem Weg ist vor dem Weg!" ( alte Pilgerweisheit) Danke für eure Begleitung. Bruni

3 Kommentare:

  1. Liebe Bruni, es macht mich traurig für dich, daß du deinen Weg abbrechen mußte. Das macht man ja nicht ohne Grund.
    Ich wünsche dir viel Kraft und alles Gute. Liebe Grüße Regina

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  2. Traurig zu hören, hoffentlich wird Alles gut! Der Weg wartet auf dich. Buen Camino!

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