Donnerstag, 20. Mai 2021

Es wird nicht leichter

Die zweite Pilgerwoche ist angebrochen und das Pilgergefühl von Freiheit, Nähe zur Natur und seinem Schöpfer lassen mich trotz Widrigkeiten fröhlich- euphorisch durch die Tage laufen. Der halbe Pausentag im Fuchsbau und das lange, gemütliche Frühstück mit Familie Bögel lassen mich erholt, mit brennender Ferse, in die 2. Woche starten. Allerdings mit Verspätung. Es ist wolkig und frisch- windig. Der Weg, ich bin im Vogtland, geht bergauf und bergab, über schöne Löwenzahnwiesen, einsamen Waldwegen und unbefahrenen Landsträsschen durch kleine, beschauliche Orte. Nach zwei Stunden finde ich ein traumhaftes Picknickplätzchen am Löschteich auf dem Angelsteg. Gegenüber ist die Pension Buchheims Hof, wo ich um etwas heißes Teewasser bitte. Auch hier ist das kein Problem und ich bin sehr dankbar für die Freundlichkeit, die mir begegnet. Ich ziehe die Schuhe und Socken aus, beobachte die Wasserläufer,eine Entenfamilie und genieße zum Tee einen Müsliriegel, Nüsse und ein Ei. Ein kleiner Schauer lässt mich unters Regencape flüchten. Bevor ich weiter ziehe, creme ich die Füße neu und ziehe trockene Socken an. ⁸
Kurz darauf komme ich an die Talsperte Pöhl und laufe über die Staumauer. Schwere Wolken ziehen schnell heran und ich hole mein Regencape hervor und laufe zum Mosenturm Im Wald erwischt mich dann ein kurzer, heftiger Graupelschauer. Die Besteigung des Turmes erspare ich meinen Füßen und mache nur ein Foto. Oben hätte ich wahrscheinlich nur graue Wolken gesehen. Nach der Überquerung der weißen Elster komme ich an den idyllischen Lochbauerhof und von da an laufe ich parallel zur weißen Elster einen kleinen Waldpfad entlang. Mir begegnet eine Frau mit zwei Labradoren und der Eine findet weder mein rotes Cape noch meine Stöcke lustig und kommt bellend auf mich zugerannt. Irgendwie regt dieses Cape jeden Hund auf. Was soll ich machen? Nass oder kläffen? Ich komme an einen Wegweiser: Plauen 5,5km ( Jakobsweg) oder Plauen 3,8km ( Radweg). Eine Gewissensfrage? Da ich kaputte Füße habe und noch ins Testzentrum möchte, schaue ich mir die Wege an. Die lange Variante ist Asphalt, die kürzere ein steil ansteigender Feldweg. Da ist die Entscheidung gefallen. Kurzer Feldweg und Einlauf in die Stadt. Ich komme zur Johanniskirche, welche offen und sehr schlicht ist. So kann ich kurz innehalten, Dank sagen und meine Herrenhuter Losung lesen. Im Pfarramt öffnet mir ein netter Mann und gibt mir den Stempel. Dann geht es zum Testzentrum. Diesmal möchte man meine Chipkarte und den Ausweis und der Abstrich wird nur im Rachen gemacht. NEGATIV!
Ich rufe Dietmar an, ein Kollege, einer ehemaligen Kollegin meiner kleinen Schwester und er holt mich ab. Er fährt die ganze Strecke, die ich in die Stadt gelaufen bin zurück, denn er wohnt direkt am Jakobsweg. Von seiner Frau werde ich freundlich begrüßt und wir trinken erst einmal Tee. Wir unterhalten uns unter dem Dach des Seitenflügels, des alten Hofes in dem sie wohnen. Der Hof mit Fachwerkgebäude ist schon mehrere hundert Jahre in Familienbesitz und die Vorfahren waren Bauern. Jetzt ist es ein uriges Wohndomizil ohne Tiere und Ackerbau. Nach dem Duschen bekomme ich ein leckeres Abendbrot und wir unterhalten uns, bis ich müde werde und gegen 22Uhr schlafen gehe. Morgens muss Ines früh zur Arbeit und wir verabschieden uns. Sie sagt mir, dass ihr die Gespräche gut gefallen haben und sie heute optimistisch in ihren Tag geht. Sollte ich irgendwann, irgendwo ein Problem haben, soll ich sie anrufen. Sie wird mir helfen. Was für eine Ansage! Ich bin gerührt. Mit Dietmar frühstücken ich noch und dann bringt er mich in die Stadt zurück. Wie toll. Ich warte bis um 9 Uhr Müller aufmacht, denn ich brauche schon wieder Pflaster. Gegenüber ist ein Bäcker und ich kann der gefüllten Streuselschnecke nicht wiederstehen. Ich telefoniere kurz mit meinem Süßen, meiner kleinen Schwester und Katharina. Dann kaufe ich Pflaster in größeren Mengen und denke, dass dies im Moment mein größter Kostenpunkt ist. Für das Essen gebe ich tatsächlich viel weniger aus. Friederike, die Tochter meiner Gastfamilie in Reichenbach meldet sich bei mir und vermittelt mir eine Übernachtung in der Pilgerherberge in Hof über ihre Freundin Cornelia. Hurra, ein Pilgerstübchen nur für mich.
Aber erst einmal laufe ich nach Schwand. Ich komme bei Fielmann vorbei und lasse die Brille festziehen und gründlich putzen, um den Durchblick bei dem verwinkelten Pilgerweg durch Plauen zu haben. Der Weg führt am Mühlbach entlang zu den Weberhäusern. Dies ist ein wildromantisches, altes Stadtquartier welches vom " Unikat e.V". liebevoll saniert und von Kunsthandwerkern mit Werkstätten, traumhaften Garten, Café und Galerie belebt wird. Ein Raum für Kreativität, Erlebnis und Genuss, wenn es denn wieder öffnen darf. Ich folge dem Radweg, der leider komplett asphaltiert ist. Die ersten Kilometer leide ich noch nicht, da meine Gedanken noch bei den Gesprächen mit Ines und Dietmar sind. Eine kleine, sehr gepflegte und wundervoll blühende Gartensiedlung lenkt mich von den pochenden Schmerzen ab. So komme ich nach Straßberg und erklimme den Kirchhügel. Hoffentlich nicht umsonst! Oben vor der geschlossenen Tür stehen zwei Männer und rauchen. Meine Frage, ob sie einen Schlüssel haben, bejahen sie. Ich bitte sie mir die Tür für eine Zigarettenlänge aufzusperren und sie sind so freundlich. So kann ich kurz innehalten, bevor ich weiter gehe. Es geht weiter auf dem Elsterradweg, der inzwischen vollständig asphaltiert ist und ich warte vergeblich auf den im Führer erwähnten Wiesenwegabschnitt. Der Weg ist liebevoll gestaltet, mit vielen Bänken, Papierkörben und freier Sicht ins weite Land. In Kürbitz ist große Mittagspause und der nächste Schauer zieht heran. So setzte ich mich in den leeren Carport am Pfarramt und hole den Schlafsack raus, da es sehr frisch wird. Die Streuselschnecke ist ein fluffig gefülltes Gedicht und lässt mich alles vergessen. Eine Stunde Ruhe gönne ich mir und meinen Füßen, dann warte ich noch bis der Regenguss vorbei ist und es mit trockenen Socken die letzten Kilometer auf den Butterweg geht. Das ist eine alte Handelsstraße zwischen Plauen und Hof. Auf den Wegsteinen sieht man tiefe Furchen der Räder der Kutschen.
Ich komme auf einen Höhenrücken und habe eine irre Fernsicht. Ich stehe in einem Sonnenkegel und links und rechts in der Ferne sehe ich Wolkenschleier regnen. Was für ein Glücksgefühl. Ich drehe mich im Kreis und fühle mich von Gott geküsst. So erreiche ich trocken mein Quartier. Familie Appel begrüßt mich mit Kaffee und lieben Worten. Ich darf Wäsche in der Maschine waschen und sitze den ganzen Nachmittag in der Sonne auf dem Balkon. Abends bin ich auch zu einer Brotzeit eingeladen. Als Dankeschön zeige ich Fotos vom Pilgerweg in Frankreich. Nachts schmerzt plötzlich mein Knie und ich versorge es mit Pferdegel. Am Morgen pocht nicht nur die Ferse, auch das Knie muckert. Was soll das? Ich bin leicht verzweifelt und frage mich, was ich falsch mache oder was ich überhaupt mache. Ich frühstücke früh mit Familie Appel, besichtigen kurz die Kirche und bin schon zeitig auf dem Weg. Es hat frische 8°C und ist bewölkt. Da ich heute romantische Wiesen - und Waldwege laufe, sind die Schmerzen erträglich. Am Mühlbach steht die Kienmühle, die Vögel zwitschern und ich fotografiere. Da sehe ich, dass ein Anruf aus Schwand eingeht. Ich melde mich und erfahre, dass ich meinen Regenüberzieher vom Rucksack liegen ließ. Merde, gerade bin ich steil abgestiegen! Thomas sagt mir, dass seine Frau nach Burgstein fährt und ihn an den Briefkasten gegenüber des gelben Hauses hängt. Da müsste ich ihn finden. Was für eine liebe Idee!!! Ich bin so dankbar, dass ich nicht zurück muss. Zur Burgruine steige ich nicht auf,da ich heute keinen Meter zuviel laufen möchte. Ich sehe meinen Überzieher schon von Weitem und bedanke mich mit einem WhatsApp- Foto.
Ich laufe bis Heinersgrün, wo ich die Socken wechsel und kurz pausiere.Ich telefoniere mit Katharina und bitte sie, Ärzte in Hof ausfindig zu machen, da ich keine gute Internetverbindung habe. Es ist Mittwoch und da haben die Ärzte gerne am Nachmittag geschlossen. Einer hat bis 13 Uhr geöffnet. Das muss ich schaffen. So laufe ich zur innerdeutschen Grenze nach Ullitz und mache ein Selfi an diesem wichtigen Ort.
Nun verlasse ich den Jakobsweg und laufe an der Landstraße nach Hof, um per Anhalter in die Stadt zu kommen. Es fahren selten Autos in die richtige Richtung und keiner hält. Ich komme zum Autobahnzubringer und laufe hinter der Leitplanke. Dann führt ein Fußweg parallel zur Landstraße und so ist ein Anhalten nicht möglich. Auch am Golfplatz will gerade niemand zurück fahren. So ein Pech. An einer Betriebseinfahrt bin ich so verzweifelt, dass ich mich an die Verkehrsinsel stelle und jeden frage. Die Erste lehnt ab, der Zweite bedauert, dass er ein Kurier ist und ausliefert, der Dritte lehnt ab und die Vierte fährt nur zum Stadtrand. Da es schon nach 12 Uhr ist, zählt jeder Kilometer. Ich darf einsteigen und ich erzähle Andrea ( mein heutiger Engel), dass ich unbedingt noch zum Arzt will. Sie ist so lieb und fährt mich direkt vor die Tür. Ich bedanke mich ganz herzlich und bin von dieser Geste zu Tränen gerührt. Oben in der Praxis von Dr. Hermann angekommen, ist diese verschlossen. Ich klingel und eine Schwester öffnet und meint sie hätten heute eine Versammlung. Auch an der Tür steht nichts über die Schließung. Sie sagt ich solle entweder abends zur Bereitschaft laufen, das wäre aber weit, oder morgen 8 Uhr in die Praxis kommen. Ich telefoniere mit einer anderen Praxis, die bis 12.30 Uhr auf hat und ich könnte es vielleicht noch schaffen. Diese Schwester wimmelt mich komplett ab, da ich keine ihrer Patienten sei. Super, da hatte ich bisher soviel Glück und jetzt muss ich mich erst einmal setzen und den Schock verdauen. Ich laufe zur Kirche St. Marien, die offen ist. Drin frage ich nach einem Stempel und werde schroff an das Pfarramt, das jetzt aber schon geschlossen ist, verwiesen. Bein Bäcker kaufe ich mir zwei Teilchen und bezahle 1,95€, was mir sehr wenig erscheint, aber die Verkäuferin meint, es sei richtig. Hof hat noch günstige Preise. Ich laufe zu meiner Gastfamilie, die den Schlüssel zur offiziellen Pilgerherberge hat. Ich bekomme einen Kaffee und ein nettes Gespräch, bevor ich von Pfarrer Gumpfer eine Einweisung bekomme. Dann bin ich allein und kann die Füße hochlegen. Die Herberge ist hübsch und praktisch eingerichtet und auch hier bin ich die erste Pilgerin in diesem Jahr. Ich finde einen Stempel und ein Gästebuch. Ich dusche, esse etwas und schreibe Tagebuch. Plötzlich kommt mich der Pilgerpate, Herr Müller besuchen und verwickelt mich in einen netten Plausch.
Ich telefoniere mit Holger, esse Abendbrot und gehe zeitig schlafen. Gesa hat mir ein Foto geschickt, dass jetzt Braunsdorf, dass am Pilgerweg von Dresden liegt, eine Pilgerbank initiiert hat. Was ein Tag Pilgerqual bewirken kann!
Am Donnerstag werde ich ausgeruht um 6 Uhr wach und fühle mich gut. Eigentlich möchte ich weiter gehen, aber die Vernunft siegt. So packe ich morgens meinen Rucksack und stehe 7.45 Uhr vor der Arztpraxis. Ich bin die Erste und komme auch sofort dran, nachdem sich das Wartezimmer das erste Mal geleert hat. Der Arzt ist freundlich- verständnisvoll und "operiert" an der offenen Blase. Ein Spezialverband soll die Heilung beschleunigen. Für das Knie bekomme ich Entzündungshemmer verordnet und ich soll zwei Tage die Füße hochlegen, um den Druck zu vermindern.
Ich rufe Ringo an und frage, ob ich heute schon kommen darf und bis Samstag bleiben kann. Kein Problem, also sage ich die Herberge in Helmbrecht ab und laufe zum Testen. Wieder negativ. Hurra. Beim Bäcker gibt es zum Frühstück zwei Teilchen und dann laufe ich zur Apotheke. Bei Müller gibt es wieder einen großen Pflasterposten.In der Stadt spricht mich eine Frau an und wir schwarzen kurz. Sie meint, sie würde mich gern spontan einladen. Das ist herzallerliebst, aber da ich Ringo schon erreicht habe, lehne ich dankend ab. Es gibt sie doch, die neugieren und netten Menschen! Ich gehe zu einem Orthopädieschustermeister und bitte ihn, sich meine Einlagen anzusehen. Nach einer halben Stunde sind sie bearbeitet und er möchte nichts dafür haben. Also gebe ich wenigstens etwas in die Kaffeekasse. In der Wartezeit habe ich mich nett mit den Kunden und der Frau unterhalten und alle wünschen mir einen guten Weg. Dann laufe ich zum Bahnhof und bin mit Fahrplan und Fahrkartenautomat leicht überfordert. Ich kaufe mir ein Bayernticket, da kann ich, sollte ich mich verfahren, den ganzen Tag durch Bayern reisen. Sicher ist sicher. Der Zugbegleiter im 1. Zug sucht mir aber die richtige Verbindung raus und begleitet mich beim Umstieg in Pegnitz in den richtigen Folgezug. Ich finde es nett, wenn der Zugbegleiter mich zum Zug begleitet. So fahre ich anderthalb Pausentagen entgegen und schaue aus dem Fenster in schöne, weitläufige Waldgebiete und bin leicht unglücklich, dass ich sie nicht durchstreifen kann. Nun mache ich erst einmal eine Pause!

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