Dienstag, 20. Juli 2021

Der Kopf spielt mit ...

 Nach einem kleinen Frühstück ziehe ich die Tür in Augsburg hinter mir zu und laufe in einen trockenen Tag. Der Himmel hat Grautöne in allen Schattierungen und macht es spannend. Der Weg führt immer am Lech entlang und das gleichmäßige Rauschen lässt die Gedanken schweifen. Jogger, Spaziergänger, Gassi- Geher sind unterwegs und an einer Staustufe rauscht das Wasser dröhnend hinab. Im Kuhsee schwimmen die Frühschwimmer nacked und ich hätte keine Lust ins kalte Wasser zu steigen. Langsam ziehen kleine,  blaue Wolkenfetzen am Himmel auf und ich bin voller Hoffnung.

Neben mir hält ein Radfahrer und es ist der 1. Radpilger dem ich begegne. Er steigt ab und wie sooft kommen wir sofort ins Gespräch und laufen eine halbe Stunde zusammen. Es ist Henk aus Holland, der mit dem Rad schon nach Santiago und Finesterre hin- und zurück gepilgert ist. Dasselbe hat er mit Rom geschafft und nun ist er bis Innsbruck unterwegs und will nächstes Jahr von da nach Assisi. Er ist 1,95m groß, rank wie eine Bohne. Er spricht, wie viele Holländer, sehr gut deutsch und ist eine Frohnatur. Es macht Spass sich zu unterhalten und ich erzähle ihm von Han und Wilhelm, meiner holländischen Begleitung auf dem Weg nach Finisterre. Schade dass er nicht zu Fuß unterwegs ist. Ich hätte gern ein paar Tage Gesellschaft. Dann will er weiterfahren und ich bitte um ein Foto. Na klar. Wir fragen einen Spaziergänger und er knipst für jeden ein Bild. Als er fragt, wo es hingehen soll, sage ich nach Rom. Er antwortet: Jo mei, seids net gescheit! Herrlich, dieses bayrisch.


Ich laufe weiter und der Weg ist schlecht beschildert und ich suche vergeblich Via Romea- Zeichen. So orientiere ich mich am Lech- Höhenweg und der Via Romantica, doch auch diese Zeichen sind Mangelware. So begebe ich mich auf den Radweg, der besser beschildert ist.

Mir drückt der linke Schuh und auch der Magen und so setze ich mich in Ermangelung einer Bank auf den Wiesenrand, um nach 15km Pause zu machen. Bingo, ich habe eine Blase über der letzten Blase. Blasenpflaster drauf und ein Tape, damit es hält. Füße frisch eingecremt und trockene Socken und Einlegesohlen, dann ist alles wieder paletti. Ich verzehre meine Nudeln und just in dem Moment kommt ein Rasenmäherträcker. Er umfährt mich zwar galant, damit ich nicht aufstehen muss, aber der Krach ist unerträglich. Ich schnüre die Schuh und das Ränzlein und laufe weiter. An jedem Feld ist hier ein Blühstreifen und ich erfreue mich an Mohnblumen, Kornblumen, Sonnenblumen... Ich durchlaufe Mais-, Soja-, Raps- und Weizenfelder und überall steht dran, was 1 ha jenes Feldes an CO2 bindet und an O2 freisetzt. Die lieben Bayernbauern sind ein stolzes Volk und nehmen den Umweltschutz wahr.

Endlich kommt eine Bank auf der ich verschnaufen kann. Darüber hängt eine Telefonnummer von einer Pension. Ich rufe an und sie ist günstig. Hurra, so kann ich bald Feierabend machen. In der Kirche ist eine " Verschenken- Kiste" aus einem Nachlass und ich kann wiederstehen.  Ich komme an einer Bio- Metzgerei vorbei und davor stehen Lieferwagen für das Schul- und Kindergartencatering. Na wer sagts denn, es geht doch!

Mein Zimmer ist bei einem über 80jährigen Ehepaar und einfach, preiswert und sauber. Ich kann meine Wäsche raushängen. So wird sie noch bis zum Abend trocken. Beim Bäcker hole ich mir ein Stück fluffigen Bienenstich und so koche ich mir einen Tee und sitze vor dem Haus. Der Chef kommt auf einen Plausch und ist ein lustiger Geselle.

Abends mache ich mir eine Brotzeit mit Brezel, Tomate, Käse und Nüssen und bin schon 21 Uhr im Bett.

Ich bekomme am Morgen ein kleines, süßes Frühstück und die Wirtsleute setzen sich mit an den Tisch. Sie machen den Fernseher mit den Wetterwebcams an und da sie nicht mehr so gut hören, dröhnt die Jodel- Alpen- Volksmusik durchs Zimmer. Ich sehe, dass es überall grau und/ oder nass ist, was mich tröstet, denn auch hier ist es grau und nieselig.

Ich starte und bekomme den Auftrag am Radweg nach Scheuring zu laufen, um die neue Assisi- Kapelle zu bewundern. Sie wurde an einem Feld errichtet und sieht wirklich hübsch aus, doch leider ist sie verschlossen. Im Dorfladen kaufe ich eine Banane und eine Nussschnecke als Wegzehrung.


Der Weg verläuft immer parallel zum Lech und so finde ich ihn auch ohne Wegzeichen. An einer Staustufe ist er gesperrt und keine Umleitung zu erkennen. Zum Glück gibt es Google und der Empfang ist gut, sodass ich eine Alternative finde. Ich gehe auf einem Forstweg gemütlich dahin bis zum Abzweig zum Naturfreundehaus. Ein kleiner, steiler Anstieg und ich bin da. Es gibt zwar keinen Stempel, aber was mich dann überkommt, ist mir ein Rätsel. Ich bestelle 11Uhr ein Radler und zische es weg! Ich staune über mein Gelüste und die nächsten 2 km laufe ich leicht und flockig. 

In Kaufering mache ich in der Bushaltestelle Rast, denn es regnet schon wieder. Ich versuche ein Bett in Landsberg zu bekommen, aber es ist recht voll. Bei der Touri- Info geht keiner an das Telefon. Der Pfarrer, den ich gestern angerufen hatte, ruft auch nicht zurück. Der Wurm ist drin. So laufe ich im Regen weiter. An einem Tennisplatz ist ein Spieler der Meinung, der Weg sei eine Sackgasse. Die Anderen sind sich sicher, dass es zu Fuß geht. Ich probiere mein Glück! Der Pfad wird zum Trampelpfad, um danach völlig verwildert kaum noch zu erkennen einen Fuß breit zu sein. Als ich schon Zweifel steht mitten im Busch eine Tafel, die über den Mittelwald informiert. Also soll dass wohl ein Wanderweg sein. An einem Häuschen ist Schluss und es geht ein steiler, schmierig- feuchter Pfad nach oben. Das ist eine Herausforderung,  denn es rutscht sich schlecht nach oben. Meine Stöcke geben mir halt und oben verläuft ein etwas breiterer Trampelpfad, der auf einen breiteren Weg führt und nach 2 km finde ich das Höhenwegzeichen. Alles richtig gemacht.

Über eine Wiese laufe ich im Regen in Landsberg ein. In der Info gibt es nur ein Bett für 50€ ohne Frühstück. Holger hat im Netz auch nichts gefunden und so muss ich...

Im Hotel bekomme ich einen Kaffee und ein wirklich hübsches Zimmer. Dazu noch einen Stadtplan mit den Sehenswürdigkeiten und Essenstipps. Ich dusche, wasche meine Klamotten und ziehe noch einmal um die Häuser. Landsberg ist ein hübsches Städtchen. In der Kirche spielt der Kantor gerade die Orgel und zieht alle Register, sodass es dröhnt wie am jüngsten Tag. Es ist mir zu laut, um in Ruhe inne zuhalten. Also setze ich den Stadtrundgang schnell wieder fort. Inzwischen regnet es wieder stärker. Ich kann mich nicht zum Essen gehen entschließen,  da ich nicht gern allein am Tisch sitze und hier viel los ist. So kaufe ich mir Pumpernickel und esse im Zimmer eine Brotzeit.


Ich schaue Nachrichten und bin über die Unwetter erschrocken und fühle mit den Menschen mit. 

Die fehlenden Wegmarkierungen machen mich schon stutzig und so schaue ich auf die Seite der Via Romea und stelle fest, dass der Weg da auf der anderen Seite des Lechs verläuft. Ich bin irritiert. Mein Führer, der auf dieser Seite auch beworben wird,  sagt anderes. Ich schicke eine Mail an den Autor, mit dem ich im Vorfeld schon Kontakt hatte. Er antwortet umgehend und ist selbst erstaunt, dass der Weg verlegt wurde und es ihm nicht gesagt wurde. Nun ist alles geklärt. 

Nach einem 10- Stunden- Schlaf wache ich topfit auf und gönne mir ein Müsli und Kaffee zum Frühstück. Ich schaue raus und ein freundliches Grau grüßt mich. Start klar für eine 30km- Etappe in Ermangelung von Übernachtung. Beim Auschecken nehme ich mir 1,2,3 Maoam aus dem Glas. Der Chef meint es gibt 5 Sorten und schüttet das Glas aus, damit ich auch noch Erdbeer finde. Wie süß ist das denn?

Beim Bäcker kaufe ich noch ein Teilchen und dann spanne ich die Muskeln an und laufe forschen Schrittes eine steile Treppe nach oben, um die Stadt zu verlassen.


Vorbei an glücklichen Kühen und hinter dem Zeltplatz geht es in den Wald auf den Höhenweg. Wieder sind Schilder Mangelware und ich komme über eine Wiese auf eine Sackgasse. Entweder zurück oder wieder einen steilen, rutschigen Weg nach oben in den Wald. Wer wagt gewinnt. Ich gewinne an Höhe und komme an einen kleinen Waldweg der zu einem breiteren führt und dann über eine Brücke und vielen kleinen Bächlein zur Teufelsküche, einem Ausflugsrestaurant direkt am Lech. Heute werden Höhenmeter gemacht. Erst wieder runter und bald wieder bergauf.

In Pöring hält ein Radler an und fragt, ob ich die Weitwanderin bin, die Bücher schreibt. Ich sage ihm, dass ich eine Pilgerin bin und ein Buch geschrieben habe. Aber ich bin nicht Christine Thürmer. Ach, die meinte er und für den Rest interessierte er sich nicht. Ich sage ihm, dass Christine Thürmer ca. 1.95m groß ist, 86kg wiegt und ich nicht abnähernd so groß bin. Damit fährt er von dannen. Darf ich mir jetzt was darauf einbilden? Ich wurde wahrgenommen, als Weitwanderin! Dabei fühle ich mich als Pilgerin. So kann es gehen.

Mir Schmerzen die Zehenballen und so gehe ich in die Kirche und ziehe ein 2. Paar Einlegesohlen ( Filz) in die Schuhe. Gleich läuft es sich besser. 

Da ich kaum Wegzeichen finde laufe ich frei nach Herz und Gefühl immer in Richtung Süden und der Regen prallt an mir ab. Ich bin im Pilgerflow. Mir geht es gut und ich schaffe das.


In Mundraching halte ich nach einer trockenen Bank Ausschau. Vor einem Haus mit schön blühenden Blumentöpfe steht eine Bank unter dem Vordach. Eine Frau kommt raus, sieht mich und meint in breitem Bayrisch, dass ich ja ganz schönen Humor hätte. Ich sage ja und deshalb frage ich sie, ob ich auf ihrer Bank eine Pause machen darf. Ja freili!  Da das klappt, frage ich auch noch nach heißen Wasser und so schmeckt mir mein Kaffee und die Nussschnecke im Trocknen. Es hört mal auf zu regnen und ich ziehe weiter. Hoch, runter, hoch... In Epfach überqueren ich den Lech und werde vom heiligen Laurentius begrüßt. In der Kirche gibt es keinen Pilgerstempel. Der Regen beginnt von Neuem und ich lutsche meine Maoam und freue mich, dass mein Kopf mitspielt und ich guter Laune bin. Noch eine Pause im Bushäuschen in Kinsau. Dahinter geht die Tür auf und ich kann um Teewasser bitten. Dazu Müsliriegel und Nüsse. Ich lege meine Füße trocken und eine Fliege stürzt neugierig in meinen Tee. Bevor ich den Löffel rausgeholt habe, um mir die Finger nicht zu verbrennen, sinkt sie schon ab und jeder Rettungsversuch kommt zu spät. Also lege ich sie in einen Blumenkübel.

Die letzten Kilometer stehen an und ich gehe den Radweg. Als ich mich in die Büsche schlage sehe ich, dass eine kleine,dicke Zecke auf meinem Bauch spazieren geht und sich einen schönen Saugplatz sucht. Ich schnippe sie weg und beschließe heute abend gründlich zu schauen.

Am Ortseingang von Hohenfurch gibt es eine riesige Eisenbahnanlage in einem Garten. Ich fotografiere und werde zu einer Besichtigungstour eingeladen.


Ich komme zu meinem einzigen freien Hotelbett und erfahre den 70er Jahre Alpenvorlandcharme. Meine Schuhe sind außen klitschnass und innen noch recht o.k. dafür, dass es heute wieder viel geregnet hat. Zum Glück fährt die Heizung im Zimmer hoch, sodass ich sie Trocknen kann. 


Nach einem Päuschen gehe ich auf die Hotelterrasse und bestelle mir Käsespätzle und ein Radler. Heute ist Sonntag! 


Morgens mache ich mir mein Müsli Kaffee- Frühstück und spare mir den muffligen Chef und der Rucksack wird leichter. Die Sonne lacht und ich bin frohen Mutes, denn die heutige Etappe soll nur 18km sein. Der Ort ist noch verschlafen und ich finde keinen Pilgerstempel an der Kirche. Die Kirche und auch die Kapelle am Weg sind verschlossen. Über Wiesen geht es zum Waldrand und dann hinein in einen wunderbar, magischen Wald, der vom Sonnenlicht verzaubert wird. Der Boden ist mit Moos und Kleeblättern übersät und mein Herz läuft über bei soviel schöner Einsamkeit. Ich komme ohne Verlaufen in Schongau an und erklimme die Altstadt. 



Im Touri- Büro besichtigen einen Stempelbund liebe Worte. In der Kirche danke ich für das herrliche Wetter. An einem Obst- und Gemüseladen überkommt mich der Heißhunger. Ich kaufe je einen Apfel, Nektarine, Banane und eine Hand voll Weintrauben. Ich bekomme alles gewaschen und zahle 4,80€ dafür. Heute ist mein Obsttag. Die Weintrauben esse ich beim Stadtbummel und das Platzen der Früchte im Mund und der Geschmack lassen mich glücklich sein.

Dann geht es weiter und ich suche den Weg nach Peiting. Dafür muss ich durch einen riesigen Recyclingbetrieb, am Pförtner vorbei laufen. Ich bin verwirrt und frage nach. Alles richtig! Immer auf dem Fußweg bleiben, weil die LKWS in einem fort vorbei fahren. Dahinter geht der Weg steil nach oben und verläuft an der Abbruchkante des Lechs. Es ist ein wunderschöner Weg mit herrlichen Blicken in die Tiefe.

Ich komme gut voran und ein Schild sagt noch 1,5km. Danach kommt ein Pfeil nach rechts und das Unglück nimmt seinen Lauf. Ich laufe eine steile Almwiese hoch, durch einen kleinen Wald und wieder über die Wiese auf einen Kapellenberg. Unten sehe ich den Ort. Ich bin abgedriftet. Ein Radfahrer erklärt mir einen Teil des Weges, dann frage ich wieder und werde in die falsche Richtung geschickt. Am letzten Haus werde ich stutzig, weil ich den Lech sehe und davon müsste ich jetzt weglaufen. Also wieder fragen. Neue Richtung,  neues Glück. Google versagt bei meiner Suche nach der Ammerschlucht. Mein Durst ist groß und ich frage an einem Haus nach Wasser. Der Mann nimmt die Flasche und seine Frau beschimpft mich aufs Übelste, was ich noch nie erlebt habe. Der Mann gibt mir die Flasche zurück. Darin schäumt etwas und das Wasser ist heiß!!!! Was ist los mit diesen Leuten? Ich schütte ihm das Wasser vor die Tür und gehe weiter. Tränen laufen mir über das Gesicht. Ich bin so geschockt. Das ist mir noch nie passiert!

Am Pfarrhaus der evang. Kirche ist ein Wasserhahn. Ich spüle die Flasche gründlich und trinke dann frisches, klares, kaltes Wasser.

Nun frage ich nochmals nach dem Weg und werde richtig geschickt. An der Schlucht zeigt meine App 19,4km!!! Ein Schild weist auf feste Schuhe und Trittsicherheit hin. Ein zweites, dass es rutschig ist, wegen des Regens der letzten Tage. Ein Mann kommt mir entgegen und er meint es ist machbar. So laufe ich rein und bin begeistert. Wahnsinn! Weiter Urwald, noch schottriger Weg, kleine Rinnsale, die sich weit unten in die Ammer stürzen. Ich bin so fasziniert und schaue in die Ferne, statt vor die Füße! Es passiert, was nicht passieren soll. Ich stürze kopfüber nach unten auf die Schotterpiste. Autsch! Ich bin kurz benommen und schon eilt ein Mann zu Hilfe. Er sucht mein Fahrrad und ich erkläre, dass ich zu Fuß bin. Er fragt, wieso ich gestürzt bin. Ja, weil ich von der Schönheit der Natur gefesselt war. Er leuchtet mir mit seiner Taschenlampenapp in den Mund, da ich blute. Die Zähne sind heil, nur habe ich mir ein bissel Schleimhaut in der Lippeninnenseite abgebissen, was wie Teufel blutet. Dazu abgeschürfte Ellenbogen, ein geprelltes Jochbein und eine kleine Macke an der Brille. Glück im Unglück! Von nun an setze ich ganz bewußt Fuß  vor Fuß und bleibe stehen, wenn ich staunen und fotografieren möchte. Es ist einmalig schön und geht über Stege, Fußpads, Brücken und schmale Stiegen hoch und runter. 



Teilweise versinken ich im Matsch. An einer besonders schönen Picknickbank über einem Abgrund mache ich Pause. Just als ich die Banane esse, landet eine Zecke auf meinem Arm. Das wars  dann mit Pause. Ich gehe weiter und an einer besonders schmierigen Stelle rutsche ich dann nochmal aus und lande mit dem Po im Matsch. Weich und ohne Blessuren aber mit schlammstrotzender Wanderhose.

Nach diesem Abenteuer geht es steil nach oben auf eine Wiese und da sehe ich sie: DIE ALPEN, in der Ferne im Dunst. Ein nie dagewesenen Glücksgefühl durchströmt mich. Ich jubel, singe, jauchze und muss es aller Welt in einem kleinen Video, dass ich in den Status stelle, sagen. Aus dem flachen Leipzig bin ich 700km bis vor die Alpen gewandert. Ich fühle mich so großartig. 

In der Klosterkirche in Rottenbuch finde ich einen Stempel und zwei Pilgerinnen. Sie sind etwas zugeknöpft und so wechseln wir nur ein paar Sätze. Sie sind auf dem Weg nach Lindau. 



Ich suche mein Quartier auf und werde von einer netten Bayerin begrüßt. Sie zeigt mir das Zimmer und lädt mich gleich zu Kaffee und Kuchen ein. Auf der Terrasse sitzen ihre Freundinnen und Rauschen was das Zeug hält im Dialekt. Sehr schnell, sehr lustig. Ich erzähle kurz und darf meine Wäsche für die Waschmaschine abgeben. Was für ein Glück.

Am Ende diesen Tages habe ich über 28km!! Mit über 800 max. Höhenmetern zurück gelegt und bin rechtschaffend müde. Auf der Terrasse meines Zimmers esse ich die letzten Reste Käse mit Pumpernickel und die Nektarine. Heute laufe ich nirgends mehr hin. 

Die Nacht war etwas anstrengend, denn jedes Mal wenn ich mich auf die linke Gesichtshälfte drehe, werde ich von Schmerzen geweckt. Das passiert natürlich öfter, denn ich bin ja Bauchschläfer. Morgens schaue ich in den Spiegel und erschrecke. Ich sehe blau und grün aus, mit dicker Lippe. Wenn ich es nicht besser wüsste,  würde ich denken ich habe eine große Lippe riskiert und dafür eingesteckt. Zum Glück kämpft sich die Sonne durch und hinter der Sonnenbrille sieht man nur die untere Hälfte.

Ich bekomme ein reichliches Frühstück, sodass das Mittagsbrot mit abfällt. Dann laufe ich direkt von der Haustür weiter über den Milchweg, ein Erlebnisweg für Kinder rund um die Milch- und Käseherstellung, zur Schönegger Käsealm. Dort gibt es einen tollen Kinderspielplatz und einen großen Biergarten. Jetzt ist aber alles noch geschlossen. Auf dem Weg gibt es ein Kuhglockenxylophon und das probiere ich natürlich aus. So schallt ein verzögerte Hänschen klein über die Alm. Das Kuhfoto muss auch sein, auch wenn mein Arm etwas zu kurz für Selfies ist.



Danach geht es über die 74m hohe Eschelsbachbrücke über die Ammer. Sie ist mit waghalsigen Konstruktionen verstärkt wurden und neben an wird eine neue Brücke gebaut. Ich laufe darüber und sie schwingt. Neben mir donnern die LKWs drüber und es vibriert und mein Herz wird ein wenig unruhig. Der Blick nach unten setzt Adrenalin frei und ich glaube Holger hätte ich gut zureden müssen, wenn er hier wäre. 

So komme ich nach Bad Bayersoien, wo ich einen Pilgerstempel bekomme und eine Pause einlege. Der Bäcker lockt mit Datschi und ich kann nicht wiederstehen. Ein Stück kostet 3,10€, und dann hat er auch noch Streusel. Von wegen Datschi. 

Heute geht es hauptsächlich auf dem asphaltierten Radweg an verschiedenen Landstraßen entlang.  Auf der einen Seite rauscht der Verkehr, auf der anderen gibt es malerische Blicke in die Berge, über die Almen und ich habe ein Gefühl von Sommer, Glück und Freiheit.

Mittagspause ist an einem Löschteich in Altenau, wo ich mich mit einem E- Bike radelnden Ehepaar ( Anfang 50) aus dem Allgäu unterhalte. Sie zollen mir Respekt, dass ich alles laufe. Ich gebe es zurück, denn das alles radeln wäre nicht meins. Dann lieber zu Fuß.

So komme ich nach Oberammergau und der Ortseingang ist etwas ramschig. Bald wird es aufgeräumter und im Zentrum steppt der Bär. Ich bin etwas verstört von so vielen Menschen nach meinen einsamen Tagen, dass ich schnell mein Quartier aufsuche.

Ich komme an einem bayrischen Hundesalon! vorbei. Was bitte ist das? Bekommen da Pudel Lederhosen ins Fell geschnitten? Mit Eichenlaub? Das Lustigste aber ist, dass eine Tür weiter ein Damenfriseur unter den selben Namen läuft. 


Ich bekomme ein winziges Stübchen in einer Pension und fühle mich wie im Wohnmobil. Alles klein, praktisch und vielleicht 5qm groß. Für eine Nacht reicht es. Ich setze mich gemütlich auf den Balkon mit Blick auf ein Gipfelkreuz auf einem hohen Berg und tippe diese Zeilen, weil es WLAN gibt und schon wieder alle warten.



Übrigens, Holger will garnicht wissen, wieviel ich leide. Sein Standardsatz ist: Komm nach Hause, hier ist Sonmer auf dem Balkon. 

Niemals, leiden gehört dazu und der Pilgerflow lässt die Schmerzen und die immer wieder neuen Blasen vergessen. Ich bin im Modus und freue mich, dass die Etappen mir immer leichter fallen. UND in 5 Tagen ist Holger in Innsbruck und dann wird es gemütlich.

2 Kommentare:

  1. Es ist unglaublich,wie Du mit kleineren und grösseren
    Notfällen umgehst.weiter viel Spass und tolle Erlebnisse. Bon Camino

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  2. Danke, dass sind die Lehren des Weges und ein wenig Leiden gehört dazu. Ultreia!

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