Freitag, 23. Juli 2021

Grenzüberschreitungen

 Gestern Abend schlief ich bereits, als die Kinder noch vor meinem Fenster auf der Wiese rumtobten.

Heute morgen werde ich 5.30 Uhr vom wütenden Gebrüll eines kleiner Tyrannen im Zimmer über mir geweckt. Kurzes Gezeter, dann ist Ruhe und ich schlafe bis 7.30 Uhr. Beim Frühstück um acht, bin ich die erste und stelle mit bedauern fest, dass die schnuckelige Kaffeemaschine nicht angestellt ist. Aber Filterkaffee mit heißer Milch auf der Terrasse mit Blick in die Berge ist schon ein Highlight. 

Eine halbe Stunde später starte ich in einen sonnenstrahlenden, himmelblauen Wandertag und allein auf den Buckelwiesen ist das Leben so surreal. Ich merke wieder, dass ich ein Berg- und Sonnenkind bin. Habe ich Beides gibt es nichts, was unmöglich erscheint. Ich bin einfach glücklich und dem Himmel nah. 

Es gibt zwei Varianten nach Mittenwald und ich entscheide mich für die Längere, denn der Weg ist nicht asphaltiert. Die Erste richtige Entscheidung des Tages, denn ich laufe fast ausschließlich auf Wirtschaftswegen am Schmalsee ( leider kein Badesee) vorbei und komme ziemlich zentrumsnah in Mittenwald an. Der Ort ist voller Touristen und die Häuser sind wunderschön bemalt. Leider stören Sonnenschirme, Werbung und Warenständer den ungetrübten Blick. In der hübschen Kirche hat jedes Mitglied sein Namensschild. Eine nette Geste.



Ich komme an einem Sportgeschäft vorbei und kaufe ein blaues Regencape. Eigentlich sollte es Holger besorgen, denn seines ist alt und nicht mehr ganz dicht. Aber irgendwie hat er es nicht geschafft. Der Auftrag war blau oder grün, damit ich es am Ende des Urlaubs gegen mein Rotes tauschen kann, um die Hunde weniger aggressiv zu machen. Also trage ich es jetzt ein bissel mit, aber der Rücken hat sich an den Rucksack gewöhnt. Ich entziehen mich dem Trubel und begebe mich auf einen traumhaften Wanderpfad direkt am Ufer der Isar entlang. Selbst die Radfahrer haben eine eigene Piste und so laufe ich allein über knorrige Wurzeln, Kiefernadel bestreuten Wegen, durch kleine Krüppelkiefern und die Sonne knallt herunter. An einer seichten Stelle ziehe ich die Schuhe aus und kühle meine Füße im eiskalten Wasser der Isar.

Dann geht es weiter und ich komme nach Scharnitz und habe somit die erste Grenzerfahrung des heutigen Tages erreicht. Ein Selfie und dann im Gemeindeamt den ersten, österreichischen Stempel im Pilgerpass. Die Damen staunen, denn ihnen war nicht bewusst,  dass ein Pilgerweg hier entlang führt.

 
Dann sehe ich eine Bäckerei und mein Herz schlägt höher. Ich bin im Land der Schnitten: Kardinalsschnitte, Topfenschnitte, Hussarenschnitte....und Kremschnitte! Die erste süße Sünde muss sein!


Nun geht es am Gießenbach entlang, hoch und runter in Richtung Seefeld. Manchmal verpeile ich den Weg, doch finde ich ihn wieder. Als nix mehr klar ist und kein Empfang, frage ich einen Autohändler und er schickt mich auf den richtigen Weg. Der direkte Weg zur Bodenalm führt mitten durch eine Kuhherde.  Ich allein mit 20 Kühen, dass kriege ich nicht hin und so nehme ich einen alternativen Weg, der bergan führt. Von oben sehe ich, wie die Kühe tatsächlich den ganzen Wanderweg lang traben. Was bin ich froh, dass ich mich für den Höhenweg entschieden habe. Ein paar Kilometer weiter gibt es eine Querverbindung zurück und ich bin wieder richtig. Allerdings wird es langsam beschwerlich. Die Sonne brennt mit 28° und mein Wasser wird knapp und heiß. Zum Glück kommt ein Gebirgsbach nach unten und ich kann mir das Gesicht kühlen und einen kräftigen Schluck trinken. 
So komme ich ziemlich erschöpft in Seefeld an und setze mich in den Kurgarten. Ich ziehe Schuhe und Socken aus und esse meine Käsebrötchen und eine Birne und ruhe mich aus. In der Info frage ich nach den Coronaregeln und seit gestern muss ich mich nicht mehr registrieren lassen. Super.
Ich laufe durch die krachend, volle Stadt und staune über die vielen Leute und Geschäfte. Wirklich alt ist nur die Kirche und das Kloster, dass heute ein Hotel ist.


Eine knackige Burschenband spielt mir ein Begrüßungsständchen. 




Allen Protz schlägt dieses Eisplakat! Wirklich, wahrhaftig gibt es da Eis für den Hund. Die Welt hat Probleme!

Ich muss noch weiter laufen. Holgers Hysterie, dass ich kein Bett finde, hat mich so nervös gemacht, dass ich, ohne auf die Kilometer zu achten, ein Bett in Reith bei Seefeld gebucht habe.
An dem Seekirchlein nimmt das Drama seinen Lauf. Ich lese den Führer, begebe mich mit Google zu der erwähnten Straße und laufe dann rechts auf den Wanderweg. Der ist kurze Zeit später gesperrt und ich gehe die Umleitung. Mir begegnen drei Wandermädels und ich frage, ob ich richtig bin. Sicher sind sie sich nicht, aber es ist eher falsch. Ich gehe zurück und frage einen Mopedfahrer, der mich zur Kirche zurück, dann rechts und durch die Unterführung schickt.  Dort angekommen stehe ich vor einer Skipiste an der Talststion. Ich frage und werde die Treppe hoch und dann links über den Berg und dann rechts runter geschickt. Ich hebe die Füße an der Treppe nicht richtig ( leichte Ermüdungserscheinung) und stürze sie rauf. Nun habe ich auf dem rechten Schienbein einen Rasterabdruck der Treppe. Bingo, kein Tag ohne Missgeschick. Ein buntes Gesicht ist mir zu wenig und die Blasen reichen auch nicht! 
Oben angekommen ist der ganze Berg eine einzige Baustelle: Bulldozer, Planierraupe, Bagger, Schlamm...Ich sehe den See und laufe am Rand der Baustelle über eine abgesoffene Wiese und komme endlich auf den richtigen Weg. Eine Stunde bis zum Ziel.
Ich laufe in ein neues Tal und habe wieder gigantische Ausblicke auf neue, schroffe Berge. Sofort ist meine Laune gerettet und ich könnte heute 1000 Bilder machen, weil es so schön ist. Jetzt läuft es sich auf der Zielgeraden noch einmal relativ flach, bevor ein Abzweig kommt. Statt Google zu fragen ( mein Akku ist nach neun Stunden ziemlich leer), frage ich einen Mann ob " Auland- Reith" der Weg nach Reith sei. Ja, ja immer gerade aus. Es geht bergauf und bergab und wieder zweigt der Weg. Mein Hotel steht angeschrieben und so kann es nicht mehr weit sein. Denke ich! Wieder eine Kreuzung. Ich will Google fragen, da hält ein Radler und fragt freundlich, ob er helfen kann. Ich nenne das Hotel und es geht BERGAB bis zum Bach, über die Brücke und dann BERGAUF durch die Autobrücke in den Ort. Ich war also falsch und der richtige Weg wäre kürzer gewesen. Hätte, hätte....es nützt nichts. Ich schleppe mich zum Hotel und komme nach über 10 Stunden an! Am Ende bin ich 33,4km gelaufen, eine Grenzerfahrung bei 28°C und dann habe ich auch noch 1211 maximale Höhenmeter zurückgelegt! Wahnsinn, auch hier habe ich eine Grenze überschritten. In den ersten Alpentagen blieb ich immer unter 1000 maximalen Höhenmeter.  Kein Wunder dass die Fußsohlen brennen. Ich will eine heiße Dusche. 
Im Hotel ist gerade Abendessen- Stress, denn von 19- 20 Uhr gibt es dieses. Ich werde kurz abgefertigt und gefragt, ob ich auch essen will. Da es bereits 19Uhr ist, ist mir dass zu hektisch. Hunger habe ich nach der Tour auch nicht, nur Durst. Die Wasserleitung liegt im Zimmer und so brauche ich mich nicht mehr fort zubewegen. Das Zimmer ist recht klein, dunkel, hellhörig und mit Blick in den Hinterhof. Für fast 50€ ein Schnäppchen. Egal, das Bett ist breit und die Dusche heiß. Mehr brauche ich heute nicht.
Und das WLAN hier ist schnell, deshalb tippe ich die neusten Ereignisse in mein Handy und stelle euch den Tagesbericht noch ins Netz.
Morgen laufe ich nach Innsbruck und am Sonntag kommt Holger. Dann wird es gemütlich und wahrscheinlich luxuriöser. Davon werde ich berichten.
Gute Nacht!

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