Samstag, 10. Juli 2021

Staunen, Wundern, Zweifeln

 Nun bin ich schon die 1. Woche wieder auf dem Pilgerweg und mein Motto " Staunen, wundern, Zweifeln" begleitet mich Tag für Tag in unterschiedlichen Anteilen. Meine Blasen ließen mich Zweifeln ( nicht am Sinn der Sache), sondern an meinen Strümpfen und Einlagen. Der Orthopädieschuhmacher hat versucht die Einlagen zu optimieren. Er hatte auch Wandersocken von Lowa im Angebot und so konnte ich mir die Fahrerei ins Gewerbegebiet schenken, was wunderbar war. Dazu habe ich gleich noch Sporteinlagen gekauft, falls es mit meinen nix wird.





Dann endlich startete ich die 2. Etappe. Es ging durch herrliche, hügelige Landschaften und das Wetter war angenehm. Ich komme an eine Jakobskapelle, die wunderschön gestaltet ist und staune über die Symbiose von Architektur, Licht und Material. Hier mache ich meine große Pause. Es geht weiter nach Abenberg und ich habe noch kein Bett. Alle Anfragen wurden vorher negativ oder garnicht beantwortet. Den evangelischen Pfarrer habe ich per AB um Hilfe gebeten. Aber ob und wann er den abhört steht in den Sternen. Beim katholischen Pfarramt klingel ich erfolglos. Ich laufe zum Friedhof und Ruhe mich aus und überlege... Auf dem Friedhof treffen sich mehrere, ältere Leute zum Schwatz und ich nehme all meine Courage zusammen und erläutere mein Problem und bitte um Hilfe. Sie geben mir einen Tipp für eine Pension. Ich rufe da an und niemand geht ran. Also laufe ich nach Dürenmungenau, wo es evtl. noch eine Möglichkeit im Schloss gibt. Das hat mir das Social Media geflüstert. Der Pfarrer ruft zurück und bietet mir Hilfe an, falls es es nicht klappt.

Im Dorf sehe ich das Milchhaus, indem 2 Bänke stehen und ich denke: wenn alle Stränge reißen... Im Schloss belächelt man mein Ansinnen.  Ich schaue mir die wirklich hübsch restaurierte Jakobskirche an und klingel dann beim Pfarrer. Mir öffnet ein noch recht junger Diener Gottes und auf der Terrasse des Pfarrhauses suchen wir eine Lösung, denn es ist wirklich verzwickt. Ich erkläre ihm, dass ich anspruchslos bin. Ein Dach, eine Matratze, Wasser... reicht aus und alles mehr ist Luxus. Er zeigt mir den Anbau und findet eine Matratze und ich habe eine Unterkunft. Hurra! Zum Abendessen gibt es eine Brotzeit und da Fußball ist, werde ich spontan zu einem Fernsehabend beim benachbarten Pfarrerspaar eingeladen. Diese überraschenden Wendungen lassen mich immer wieder Staunen. Am nächsten Morgen bekomme noch den Segen und ein Kärtchen mit einem Bild aus der Jona- Geschichte: Gib niemals auf! Wie passend! Das werde ich nicht. Da der Pfarrer mein Engel in größter Not war, bekommt er die Schmunzelsteingeschichte erzählt und dazu Einen. So ziehe ich mit leichterem Gepäck  weiter nach Gunzenhausen. 

Das Wetter ist feucht fröhlich, die Landschaft lieblich und der einzige Bäcker am Weg hat Urlaub. Aber es gibt genügend Kirschbäume unterwegs. Der Weg geht heute immer wieder hoch und runter und mit spitzenverdächtigen Ausfallschritten und Spagateinlagen durchqueren ich ein schmierseifiges Waldstück. Was bin ich froh, dass ich meine Stöcke habe. Die Autan- Resistenten Mücken fallen über mich her und Bremsen saugen mein Blut, sodass ich sehe, dass ich aus dem Wald komme.

 Ich verlaufe mich des öfteren und werde am Ende des Weges noch über einen Berg geschickt, auf dem das Weltkulturerbe Limes auf mich wartet. Endlich sehe ich in groß, was ich in der 6. Klasse für den Geschichtsunterricht mit Streichhölzer nachgebaut habe. Ein Caree aus alten Steinen soll der Wachturm gewesen sein und ein paar Pfähle stecken in der Erde, der Wall, ich erinnere mich. Dazu ein Bismarckstraße, erbaut aus den Steinen der Ringmauer... Weltkultur. 


Dann geht es wieder rutschig bergab und ich hätte gern auf die Geschichtsstunde verzichtet, wenn dafür der Weg flach gewesen wäre.

In Gunzenhausen übernachten ich in der Jugendherberge des CVJM. Abends reise ich mir die Schultern und Rücken mit Wärmecreme, die Füße mit Hirschhorncreme und die Muskeln mit Pferdegel ein. So eine Pilger- Körper- Pflege ist eine einzige Schmiererei.


Am Morgen stehe ich gelockert auf, frühstücke und es regnet. Mit FFP2 - Maske laufe ich über den Wochenmarkt und die Brille läuft ständig an. Ich gehe zur Kirche, die noch ziemlich düster ist und stoße mit meinen linken Knie ( dass gerade wieder in Ordnung  war) gegen eine Kirchenbank. Aua, der Schmerz lässt nach und ich habe eine große Beule über der Kniescheibe, die im Laufe der nächsten Tage zurückgeht und grün und blau wird. Wer ist heute gegen mich?

Ich laufe los, das Wetter ist mistig, der Weg teilweise nicht erkennbar. Es geht durch hüfthohes Gras, Brennnessel, Matsch...wie lustig ist das Pilgerleben. In Gnotzenheim, an der Kirche mache ich Pause und der Regen lässt nach. Danach laufe ich mal wieder falsch und komme am Schloss vorbei, dss ich von außen besichtige. Bei schönem Wetter hätte ich hier eine tolle Aussicht, heute ist alles wolkenverhhangen grau. Auf nach Heidenheim. Ich besichtigen die Kirche und den Kreuzgang  des Klosters und dann geht es in den Gasthof " Zur Rose", wo mich Gertrud warmherzig begrüßt und mir mein Zimmer zeigt. Stäbchenparkett im Bauernhaus, hochglanzpoliert 60iger Jahre Möbel, sehr charmant und picobello sauber. Abends erlebe ich in der Gaststube das Landleben live. Am Stammtisch wird die große ( Söder muss weg) und die kleine ( die Post wird geschlossen) Politik lautstark diskutiert. Gertrud beruhigt, hat für jeden ein nettes Wort und versöhnt mit gutem Essen. Als ich etwas ohne Fleisch bestelle, ist sie kurz sprachlos und fragt, was mache ich denn da? Ich frage: Bratkartoffeln? Sie: Ohne Speck? Ja das geht. So bekomme ich Bratkartoffeln und ein Omlett.






Danach noch Fußpflege und ab ins Bett. Nachts weckt mich der  rauschende Regen.
Morgens regnet es immer noch aus Eimern. Ich bekomme ein leckeres Frühstück und noch genügend Proviant mit. So breche ich nach Öttingen auf. Dieser Tag wird der Härtetest! REGEN, REGEN, REGEN, Weg gesperrt, Schuhe nach 3 Stunden auf sinnflutartigen Wasserwegen aufgeweicht, Socken klitschnass und keine Möglichkeit ein trockenes Fleckchen zu finden. Heute ist alles gegen mich und ich singe mit Gerhard Schöne- Lieder gegen meine Verzweiflung an. Ich beobachte einen Regenwurm in der tiefen Pfütze und frage mich, ob Regenwürmer schwimmen können? Ich weiß es nicht, rette ihn vorsichtshalber auf das Gras und er ringelt sich, lebt also.
In einem Dorf klingel ich erfolglos an 4 Türen und erst an der 5. öffnet mir jemand. Ich bitte um 2 Tüten, um meine Füße trocken zu legen und bekomme von Bettina einen Pfefferminztee, liebe Worte und mitleidig Blicke. Das tut gut. Mein Engel des Tages. Ich erfahre von ihr, dass Gertrud die " Mutter Theresa von Heidenheim" genannt wird. Das kann ich verstehen. Sie ist sehr besorgt, um jeden. 
Ich laufe weiter und auf einem Spielplatz gibt es eine Grillhütte mit einem trockenen Hocker, wo ich Pause mache. Weiter geht es und der Weg wäre wunderschön, würde es nicht immer noch gießen. Erst in Öttingen reißt der Himmel auf und ich senden 1. Sonnenstrahl des Tages. 
Ich werde von Walter abgeholt und ich habs geschafft. Die Wäsche darf in die WM und in der Trockner. In Letzteren kommen auch Einlage und Regencape. Birgit kommt nach Hause und ich lerne meine Gastgeber bei einem leckeren Abendessen näher kennen. Sie vermieten erst seit kurzen an Pilger, da die Kinder raus sind, das Haus sehr groß ist und sie gern Besuch bekommen. Abends zeige ich Ihnen die Bilder vom spanischen Jakobsweg und es wird spät.
Nach einer erholsamen Nacht geht es bei strahlenden Sonnenschein nach Wemding. Auch hier gab es ein Übernachtungsproblem, dass Birgit via WhatsApp für mich gelöst hat. Ich kaufe neues Pferdegel und laufe los. Ich freue mich an der Sonne, Kornblumen, Mohn und herrlicher Landschaft. Die Gedanken laufen inzwischen nicht mehr rückwärtsgewandt nach Leipzig sonder vorwärts und plötzlich durchzuckt mich ein Geistesblitz. Wollte ich nicht in Öttingen auf den Augsburger Jakobsweg abzweigen? Klar! Mist! Ich bin auf dem Bodenseer Jakobsweg! Also musss ich zurücklaufen und habe schon wieder 5 Mehrkilometer, welche ich im Laufe des Tages noch erhöhen werde, da ich träume und einige Wegzeichen zugewachsen sind. Aber die Sonne lacht und so nehme ich es leicht und genieße jeden Schritt. Ich komme zur Basilika Maria Brünnlein, einem Wallfahrtsort mit sehr, sehr viel goldlastiger Barockausstattung und hier sind dass erste Mal am heutigen Tag  Menschen unterwegs. Ich finde den Pilgerstempel, spreche mein Dankgebet und berühre das heilige Wasser. Der Gasthof daneben ist voll Ausflüglern und ich laufe die letzten 2 Kilometer nach Wemding, wo ich bei Werner und Daniela übernachten darf. Werner ist zu Hause und zeigt mir mein Zimmer. Wir führen interessante Gespräche über Geschichte,  Lokales und Politik. Er ist Informatiker und Lokalpolitiker für die Grünen und seine Frau für die Frauenliste. Ich darf uns Salat machen und so essen wir zusammen auf der Terrasse und reden bis 22 Uhr. Dann ziehe ich mich zurück, um noch mit Holger zu telefonieren und Tagebuch zu schreiben. 24 Uhr geht das Licht aus.




So, jetzt stimmt die Bilderreihenfolge nicht, aber da ich es vom Handy aus schreibe, bin ich gerade technisch überfordert und überlasse euch die Sortierung auch die Rechtschreibkontrolle 😇 Es ist Sonntag 7UHR,  ich sitze im Bett und will es endlich schaffen diesen Blog zu senden. Also habt bitte Nachsicht mit mir.
Übrigens, ob ihr es glaubt oder nicht, so ein Pilgertag hat es in sich. 6- 8 Stunden wandern, Quartier suchen, Pilgerroutine von etwa 2 Stunden( waschen von Körper und Klamotten, Tagebuch, Telefon mit Holger, essen) , Gastgeber kennen lernen...Ich kann nicht jedem Tag berichten und auch nur einen Bruchteil der Geschehnisse.
DESWEGEN versuche ich jeden Sonntag oder 1x die Woche alles zusammen zu fassen und wenn ich WLAN und Netzt habe zu berichten.  Als bitte keine Unruhe über WhatsApp....mir geht es wunderbar, ich staune, zweifel, pilgern... 



1 Kommentar:

  1. Liebe B runi, Kompliment, dass Du so zäh bist und die Schmerzen erträgst!! Dor möt du dör! Weiterhin eine interessante schöne Zeit.Liebe Grüsse Helga und H-J

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