Donnerstag, 19. August 2021

Es wird immer heißer

 Der Weg nach Padua war die Herausforderung an die Willenskraft. Bei 37°, ohne Wind, Baum oder Strauch lief ich die Kilometer bis zum Stadtrand in der prallen Sonne. ( Dann warfen die Häuser und Bäume Schatten) Kein Italiener ließ sich blicken, der Weg gehörte mir. Wasser trinken im 15min - Takt und Wasser finden waren meine Hauptbeschäftigung, neben der Frage, was mache ich hier? Es gab skurrile Momente und ein paar nette, kurze Begegnungen, die den Tag erträglich machten. Am Ende des Weges hatte ich 5 Liter getrunken und fühlte mich wie ein Kamel. Wasser! Wasser! war der Gedanke des Tages.



In Padua lief ich nur noch zur Basilica di Saint Anton, bewunderte dieses Bauwerk und lief zur Pilgerinformation, um einen neuen Pass und Infos zu holen. Diese Dame hatte Geduld für mein Gestammel und ich habe alle Fragen beantwortet bekommen. Ich holte mir meine Urkunde für den Cammino Lungo ab und lief zum Hotel. Das Einchecken klappte schon prima und ich erklommen mein Zimmer unterm Dach!!! Ohne Fahrstuhl, mit Klimaanlage. Diese stellte ich auf 17° damit es erträglich wird. Allerdings schafft sie das nicht, dafür ist das Dach zu heiß. Duschen und Füße hoch, welche bei den Temperaturen und Kilometern mal wieder brennen. Früh schlafen war alles, was ich noch wollte.



Nach einer guten Nacht erkunden ich Padua und die Stadt ist phantastisch. Gassen, Arkaden, Palazzos....Goethes Palme und einen Botanischen Garten, der Weltkulturerbe ist ( sagte man mir).


         Prato della Valle

        Der botanische Garten ...Weltkulturerbe.

         Abbazia di Santa Giustina

Café Predrocci seit 1831

Ich bin schon zeitig aufgestanden, um nicht in der größten Hitze laufen zu müssen und so gehe ich durch das erwachende Padua. Die Lichtstimmung ist unbeschreiblich, milchig, zartblau und die Sonne steigt langsam auf.


Der Weg ist heute wieder nur Mittel zum Zweck. Über 20km an einem Kanal entlang. Davon ca.17 Asphalt und der Rest weißer oder hellgelber  Staubweg. Von Schatten kann ich nur träumen. 


Ich lese ein Schild von einem Agritourismo und sehe einen Laden und Tische davor. Ich denke es handelt sich um einen Bauernladen und hoffe auf ein Glas kalte Milch im Schatten sitzend. Als ich ankomme sehe ich als erstes eine große Waage und lege meinen Rucksack drauf. Noch sind 2 Liter Wasser drin und er wiegt 12kg. Dann steige ich ohne Rucksack darauf und denke, o.k.  da brauche ich mich nicht wundern, dass die Hose rutscht. Dann gehe ich rein und der Schock sitzt so tief, dass ich vor Schreck deutsch rede, als ich angesprochen werde. Ich sage: Ups, hier bin ich falsch, ich wollte Milch trinken. Die Dame lacht und antwortet auf deutsch: Die Milch ist alle, hier gibt es nur Wein. Ich war auf einem Weingut gelandet. Da ich nach dem Schattenplatz lechzte, bestellte ich mir ein Glas kühlen Weißwein und ein Glas eiskalten Wasser. Ich wollte bezahlen, doch die Frau ließ mich stehen und redete  kurz mit ihrer Kollegin. Dies drehte sich zu mir um, musterte mich und sagte: Claro! Daraufhin kam Erstere zurück und meint das geht aufs Haus. Pilgerglück! So sitze ich morgens halb elf bei einem Vino im Schatten.


 Ich sage euch, die nächsten Kilometer nahm ich locker, obwohl ich durch teilweise vergessene Orte kam. In der Ferne sind die Eugeaneischen Hügel und da frage ich mich, warum der Weg nicht da in den Wald geht.


So bin ich schon 13 Uhr in Monselice, wo das Thermometer 38° anzeigt. Der Ort macht Siesta, nur das Touribüro ist offen und dort werde ich nach meinen ersten Sätzen auf deutsch begrüßt. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt ( Castel und ein paar größere Villen/ Museum) sind heute ( Montag) geschlossen. Also bleibt mir nur der 7- Kapellenweg auf den Berg hoch. Ich stapfte auf uralten Pflaster nach oben und stelle fest, dass die Kapellen nach Padua sehr mickrig sind. Die Kirche mit den Reliquien ist auch geschlossen und die Treppe zur Arena mit Franziskanerkloster ist versperrt. Also zurück und in einer Bar etwas essen. Diese schließt gleich, aber ich darf sitzen bleiben.





16 Uhr kann ich einchecken und als erstes stelle ich die Klimaanlage an, um zu überleben. Bevor ich aber überhaupt rein darf muss Fieber gemessen werden ( Greenpass ist hier nicht).

                Das war mein Freifahrtsschein.

Pilgerroutine, Zimmersuche, Telefongespräch mit dem Liebsten und dann gehe ich noch Pizza essen.


Kaum bin ich zurück, beginnt ein Gewitter und es schüttet aus Eimern. Nun wird die nächste Etappe nicht so staubig. Hoffentlich kühlt das Gewitter die Luft etwas ab.
Morgens ist vom Gewitter nichts mehr zu sehen und der Tag beginnt mit milden 20° und einem lauen Lüftchen. Am Himmel zeigen sich zarte Wolkengespinste und erinnern mich an Aquarellmalereien.


Heute geht es nur auf Asphalt durch lauter kleine Dörfer, die nie einen Touristen zu Gesicht bekommen. Jeder Dorfköter begrüßt mich mit herzlichen Wuffwuff und signalisiert seinen Kumpels den Einsatz für den Chor! Mich hebt es nicht an, denn überall ist genügend Zaun dazwischen und so bleibe ich tollkühn vor einer Bulldogge stehen, um in aller Gemütsruhe den gegenüberliegenden Gartenzaun zu fotografieren.

Die Temperaturen steigen nur auf 29° und mit dem Wind ist es gut auszuhalten. Ich komme gut voran, finde aber weder eine Bank noch einen Wasserhahn. Heute komme ich wieder an einem Agritourismo vorbei und der verkauft Gemüse und Obst. Ich stelle mich zu den Einheimischen und sorge für Aufsehen. Inzwischen kann ich die typischen Fragen sehr kurz beantworten. Ein Mann zeigt mir das Bild seines Freundes, der mit zwei Eseln gepilgert ist. Ich sage, dass es schon ohne Esel schwierig ist ein Bett zu finden.( Mit Sprachapp😄), was zu einer Diskussion führt, weil in Spanien alles besser organisiert ist und in Italien...das ist der O- Ton der Bevölkerung,  der ich nur zustimmen kann. Ich kaufe je einen großen Apfel, eine Nektarine, Pflaume und zwei Tomaten und zahle 1€. Verrückt, frisch vom Feld und ich kann es vor Ort waschen. Also Tomatenpause und dann geht es weiter, die Straße entlang. Eine Pause unter zwei Bäumen am Felsdrand zeigt mir, dass ich an der Ferse wieder eine dicke Blase bekomme und weil dass nicht reicht, ist darauf ein Hühnerauge, dass ich gestern abend entdeckt habe.





 Irgendwann kommt auch wieder ein Radweg am Kanal, um später nochmal Straße zu laufen und dann stehe ich wieder am Etsch ( Adige). Ihr glaubt es kaum, aber am Kanal geht es weiter bis fast zum Tagesziel. Bevor ich nach Rovigo einlaufe besuche ich etwas ab vom Weg einen riesigen Supermarkt und decke mich mit Pflaster und Werkzeug für meine Wehwehchen ein. Dazu noch Obst. 


In Rovigo laufe ich zum Dom, der verschlossen ist und begebe mich auf die Odyssee nach der Touri- Info. Ich werde von A nach B und C geschickt, bis ich eine Frau mit Fahrrad frage, die mir zu verstehen gibt, ihr zu folgen. Wir kommen an ein Informationsbüro, dass wegen Urlaub geschlossen hat. Sie fragt, was ich da wollte und ich erkläre ihr, dass ich einen Pilgerstempel suche. Daraufhin geht sie mit mir zum Rathaus und diskutiert sich durch den Empfang bis an das Telefon einer Vorgesetzten. Diese wird per Telefon bequatschen und ich komme in den Rathaussaal, wo sie meine Geschichte erzählt. Dann bekomme ich den Stempel und viele, gute Wünsche. Wir machen ein Foto 



Ich bedanke mich bei Maria Gazia ( so heißt meine beharrliche Italienerin) mit einem Schmunzelstein ( ohne Geschichte, denn dass hätte Stunden gedauert). Sie gibt mir ihre Karte und wir verabschieden uns. Ich laufe zu meinem B&B, bekomme Einlass und alles macht einen dubiosen Eindruck. Legal? Keine Ahnung! Ich bezahle bar und bekomme eine kleine Wohnung mit Waschmaschine,  die ich gleich erst einmal füttere. Ich versorge meine Blasen und Hühneraugen und die Füße brennen wieder. Kein Wunder, bin ich doch mit der Suche über 32km gelaufen.
Ich suche vergeblich ein Bett für morgen und die Nerven liegen wieder blank. Holger tröstet mich und versucht aus der Ferne zu helfen. Zuerst findet er eine Hautärztin in der Nähe, wo ich morgen früh meine malträtierten Füße vorzeigen werde. Ein Bett hat er auch nicht gefunden, aber ein Hotel will sich noch einmal melden. Vielleicht klappt es. Ich bin ziemlich pessimistisch und sage, ich kaufe mir ein Zelt und ein Fahrrad, da die Straßenkilometer mürbe machen. Holger muntert mich auf und meint, wenn ich 1300 km schon gelaufen bin, schaffe ich die restlichen auch noch. Naja klar, weiß ich, aber manchmal hilft einfach nur Heulen.



Die Nacht war kurz, weil ich mir zuviele Gedanken gemacht habe. Morgens habe ich wieder zwei Zimmerabsagen im Mailfach. Der Tag beginnt...
Ich gehe in ein kleines Café frühstücken und dann laufe ich zu der Adresse der Ärztin. Diese entpuppt sich als Krankenhaus und ich brauche drei Anläufe, bevor ich mich reingetraue. Nummer ziehen, warten und dann die einstudierten  Sätze loswerden. Ein verständnisloser Blick und einem Fingerzeig aufs Mikrofon. Noch einmal und dann kommt ein Schwall Worte und Kopfschütteln. Ich verstehe,  dass es ein großes Krankenhaus ist und keine Privatpatienten behandelt. Also bleibt mir nur übrig, mich am davor liegenden Kreisverkehr anfahren zu lassen, um mit der Ambulanz einzufahren. Das ist es mir nicht wert. Ich nehme eine Schmerztablette und laufe los. Es geht ein leichter Wind, sodass die Temperaturen, im Laufe des Tages wieder 31°, ertragen lässt. 


 Der Weg ist nur Asphalt und ich suche die kürzeste Strecke, denn jeder Schritt weniger ist heute das Motto. Bei meinen kleinen Trinkpausen rufe ich immer wieder bei einem katholischen Pfarrer an,  dessen Nummer ich im Internet fand. Beim dritten  Versuch klappt es und ich habe ein Bett in Polessella. Prima!
So laufe ich erleichtert weiter, gehe in deine sehr schöne Kirche in Guarda Veneta. Der Ort selber liegt blutleer in der Sonne. Die meisten Läden sind für immer geschlossen,  kein Mensch weit und breit, nicht einmal ein kläffender Hund ist hier.


Die letzten Kilometer auf einen Damm ziehen sich und dann endlich bin ich da. Ich werde freundlich empfangen und bekomme ein hübsches,  kleines Zimmer für mich. Ich dusche und gehe zum hiesigen Arzt der Sprechstunde hat. Ich ziehe die Nummer, warte und als ich in die Anmeldung komme, sitzen da zwei Signoras. Die eingeübten Sätze langsam vorgetragen bringen mich nicht weit. Zweiter Anlauf. Ich sage, dass ich kein italienisch spreche,  da ich Deutsche bin. Das sorgt für lautstarken Unmut der älteren Signora. Ich verstehe soviel, um zu erfahren, dass wenn ich kein italienisch spreche, in Deutschland bleiben soll.  Ich gebe noch nicht auf und schalte den Lifeübersetzer ein. Da prasseln 1000Worte runter. Ich lese nur die ersten. Ich brauche einen Dolmetscher,  denn sie brauchen Kopien von meiner Versicherung, Arbeitgeber, Ausweis.... Ich rufe Matteo an und er versucht es zu erklären. Ich höre heraus, dass sie nicht einmal das Wort " Pilgerin" verstanden hatten. Sie haben schon beim 1. SATZ abgeschaltet. Matteo erklärt mir das italienische System. Ich muss in ein Krankenhaus gehen! Ich bin am Ende und gehe. Hier gibt es weder ein Krankenhaus, noch eine Apotheke zur Selbsthilfe. Ich werde morgen Bus fahren und eine Apotheke suchen. Meine Nerven liegen schon wieder blank. Ich frage mich, was ich hier eigentlich mache. Diese Probleme hatte ich weder in Frankreich noch in Spanien.
Aber ich lasse mich nicht unterkriegen!


Morgens frühstücke ich gemütlich, warte auf den Bus und hoffe, dass er fährt,  denn nur ich stehe an der Haltestelle. Mit 2min Verspätung kommt er an und ich bin der einzige Fahrgast. 


Das bleibt auch so, obwohl er alle Dörfer vor Ferrara abklappert. Am Busbahnhof ist Endstation und der Fahrer beobachtet, wie ich mit Google den Weg suche. Er zeigt mir eine Unterführung und erklärt mir, dass ich so schnell ins Centro komme. Warum weiß das Google nicht? Das spart mir einen Kilometer weg. Unterwegs versuche ich mein Glück an zwei Apotheken( verschiedener Art: comunal und nara?), aber beide wollen mir keine Einwegspritzen verkaufen. Ich rufe Matteo wieder an und er versteht es auch nicht! Also gehe ich frustriert in die Stadt, weil ich nicht weiß, wie ich meine Blasen loswerden.
Holger hat mir ein hübsches Zimmer in einer Pension mitten im Zentrum gebucht. 


Der Eigentümer ist sehr nett, gibt mir einen Stadtplan und malt mir darin ein, was ich gesehen haben muss. Ferarra ist eine herrliche Stadt, mit riesigen Burg, vielen Museen, wunderschönen Palazzos und Gärten. Um das alles genießen zu können, habe ich es getan!
Ich gehe mit Birkenstockbadelatschen ( immerhin Birkenstock) in Orange und Wandersocken ( farblich passend orange- grau) die Stadt erkunden! Innerlich singe ich Ina Müller " Hoffentlich ist der Sommer bald vorbei" zu. Aber nur so kann ich meine Blasen schonen und bekomme keine Neuen, denn hier sind wieder 35°.




Nach einer Mittagspause geht es zur 2. Runde und ich gehe zum " Diamantpalast" und einem wirklich beeindruckenden Friedhof.

      

Ich unternehme einen neuen Anlauf und gehe nochmals zur Apotheke und frage nach einer sterilen Nadel. Für 0,10€ bin ich dabei. Mutig gehe ich nun zur nächsten Apotheke und frage nach 2 Einmalspritzen. Auch die bekomme ich. In der 3. Abkaufen ich dann Jod. Ich verstehe es nicht, aber einzeln habe ich alles bekommen.
Um mir Mut anzubringen gehe ich zur ältesten Weinstube der Welt. Auf dem Weg dahin sehe ich noch das Oberfränkische Bierland. 



Ich trinke einen schönen, kühlen Wein und gehe dann in mein Zimmer zur " Haus- OP".


Ich hatte es nicht mehr in Erinnerung, wie höllisch es brennt, aber da muss ich durch.
Nun ist die Frage, wie es weiter geht. Vor mir liegen noch zwei Asphaltetappen von je 20/
25 km bis Bologna, wo ich einen Pausentag eingeplant habe. Schaffe ich dass? Ich will es, bin mir aber nicht sicher, was ich damit riskiere. Holger erklärt mir, dass erzwingen nichts bringt. Lieber jetzt Pause und ankommen, als unbedingt die Kilometer zu laufen und in Bologna abbrechen zu müssen! In mir streiten die Gefühle und ich bin hin- und hergerissen. Es fühlt sich nicht richtig an, doch Herz und Erfahrung sagen, dass er Recht hat. Also frage ich meinen Vermieter, ob ich länger bleiben kann. Ich habe Glück, das Zimmer ist noch eine Nacht frei. 
Holger bucht noch eine Nacht in Bologna hinzu und so mache ich schon wieder " Urlaub vom Pilgern". Werde mit dem Bus nach Bologna fahren und meine Blasen abheilen lassen.In der diesmalige Pilgerreise ist echt der Wurm drin! Der Weg ist mühsam und die Sprachlosigkeit zerrt an den Nerven.
Was bin ich froh, dass mein Lieblingsmensch so hinter mir und zur Seite steht!!!




 

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