Wir haben wunderbar geschlafen und werden erst halb acht wach. Draußen hängen graue Wolken am Himmel und bald geht ein kräftiger Guss hernieder.
Holger meint, wir sollten nach Turin fahren, da könnten wir bei dem Wetter wenigstens etwas machen. Die Stimmung ist etwas gedrückt, weil es auf den nächsten Etappen wenige Unterkünfte gibt. Pilgerherbergen sind für Holger nur die Notlösung und bei einer kann man nur auf dem Boden schlafen. O.k, dafür bin auch ich zu alt. Heute Abend sind wir schon in einer Pilgerherberge, aber das reicht ihm für den Rest des Urlaubs. Ich finde in der offiziellen Herbergsliste zwei Möglichkeiten für den nächsten Tag. Bei der einen wird die Etappe kürzer, bei der anderen zu lang! Ich schicke an Beide eine Anfrage und schaue, was passiert.
Ich ignoriere das Grummeln von Holger und wir setzen uns mit dem Frühstück auf unsere überdachte Terrasse und lassen es uns schmecken.
Holger findet eine Zugverbindung, denn die heutige Etappe wäre etwa 35 km lang, da wir noch vor Santhia sind. Das ist bei dem Wetter nicht drin.
Der Regen lässt etwas nach und wir stapfen tapfer los. Es geht an der Schnellstraße entlang und das Spritzwasser der Autos sorgt für schnelle Schritte bis zum Ortsrand, wo es einem Bürgersteig gibt. Ich passe nicht auf und ertränke meine Füße in einer tiefen Pfütze. So werden meine staubigen Schuhe einmal farblich aufgefrischt.
Wir finden den Bahnhof und das nächste Abenteuer beginnt. Zum Glück sind wir viel zu zeitig da, denn der Zug fährt eine halbe Stunde eher, als im Internet stand.
Der Fahrkartenautomat erklärt uns auf deutsch, dass wir auf unser Gepäck achten sollen, aber unseren heutigen Wanderausgangsort- San Germano Vercellese kennt er nicht. Gera Hauptbahnhof zeigt er allerdings an. Verrückt! Ein Italiener will uns helfen, scheitert aber auch. Also kaufen wir eine Fahrkarte bis zum Zielort des heutigen Tages und hoffen, dass der Zug unterwegs hält. ( Holger würde es nicht bedauern, wenn er es nicht täte!)
Pünktlich fährt der Zug ein und wir steigen ein.
Er hält tatsächlich in San Germano und wir steigen aus. Hier kommen wir direkt auf den Pilgerweg. Im Ort kaufen wir noch zwei Teilchen und bewundern die Kirche.
Der Weg führt uns aus dem Ort in die Reisfelder und darin laufen wir heute im Zickzackkurs zwischen einer größeren Landstraße und den Eisenbahngleisen nach Vercelli. Die Lokführer grüßen per Hupe, wenn sie uns sehen. Wenn mein Elliot hier wäre, wäre er ganz happy. Er liebt es nach der S- Bahn in Leipzig zu schauen und freut sich, wenn die Lokführer hupen oder blinken.
Der Weg ist heute öde, meint Holger. Ich genieße die Stille und lasse meine Gedanken spazieren gehen. Ich bin immer wieder erstaunt, wohin sie laufen. In alle Richtungen: mal zurück und dann in die nähere und weitere Zukunft. Sie kommen und gehen und ich bin ganz bei mir angekommen.
Im Feld entdecken wir eine Schar Vögel mit langen, gebogenen Schnäbeln, die wir nicht kennen.
Die Felder verändern ihre Farbe und wir vermuten so verschiedene Sorten "Risotto".
Die Wolken hängen tief, doch wir sind froh, dass die Sonne nicht scheint, denn hier gibt es viele, kleine, fiese, stechenden Moskitos. Sie mögen Männerbeine, denn Holger hat schon einige Stiche an den Waden.
An einer Pausenbank, die ein Rotary- Club spendiert hat, trinken wir etwas, bevor wir weiter ziehen. Ich sehe, dass meine Mails beantwortet worden. Die weiter entfernte Unterkunft ist voll, die Kürzere hat noch Platz. Bingo! Die Würfel sind gefallen. Die morgige Etappe wird kürzer.
Dann kommen wir an einem Reisfeld vorbei, wo gerade Frauen mit krummen Messern und großen Säcken ins Feld gehen. Was sie genau rausschneiden, verstehen wir nicht, aber die Ernte soll, je nach Wetter, in 2-3 Wochen sein.
Jetzt wechseln wir wieder das Feld und das erste Mal steht der Reis tatsächlich richtig im Wasser.
Wir laufen die ganze Zeit an den Kanälen entlang und warten auf das Quaken der Frösche, doch sie sind heute stumm.
Nun müssen wir zwischen zwei Feldern, auf einen ungemähten Grasweg einbiegen und hier hüpfen uns die Frösche vor den Füßen weg. Allerdings sind sie recht klein. Im Führer steht, dass sie in hiesigen Gaststätten auf der Karte stehen. Na wer es mag.
An einer T- Kreuzung sollen wir nach der Ausschilderung rechts gehen, doch laut unserer Wegbeschreibung links. Wir rätseln. Zwei Pilgerinnen kommen auch an und auf ihrem Track sind sie im Nirvana. Sie vertrauen uns und trotten hinter uns her. Der Weg wird immer zugewachsener und am Ende stehen wir vor zwei Kanälen. Holger ist schon wieder bedient, doch ich schlage mich durchs hohe Gras und finde eine Steinmauer, um den ersten Graben zu überwinden. Dann sehe ich auch ein Brett über dem zweiten Kanal. Geschafft! Wir warten auf die zwei Mädels und zeigen Ihnen den Übergang.
Inzwischen verdunkeln sich die Wolken und wir ziehen nicht zu früh die Regencapes über. Es geht ein kräftiger Landregen runter und in wenigen Minuten sind die Schuhe durchweicht. Wir sehen es optimistisch, solange es nicht blitzt.
Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei.
Die einzigen Höhenmeter laufen wir heute, wenn wir die Eisenbahnbrücken queren. Von da aus sehen wir, so weit das Auge reicht- Reisfelder über Reisfelder.
Nun kommt ein Feld, dass uns schon reif erscheint, denn die Ähren sind gelb.
Nach einer Kurve schrecken wir zwei Fasane auf. Der eine flattert in das Reisfeld, der andere läuft mehrere Meter aufgeregt vor uns auf dem Weg daher, bevor er auf die Idee kommt, ins Reisfeld zu flattern.
Dann wird der Weg vor dem Stadtrand etwas hässlich und Holger sieht ein großes Nutria über den Weg flitzen. Wir gehen vorsichtig an der Stelle vorbei und sehen im Feld eine große Falle.
Nun erreichen wir den Stadtrand und es geht auf einer breiten, lauten Straße nach Vercelli. Wir trinken in einer Bar etwas, bevor wir das Hospitale Sancti Eusebi, unsere heutige Unterkunft, aufsuchen.
Die Schuhe müssen unten bleiben und so werden sie sicher nicht trocken. Im Zimmer hat Holgers Bett keine Decke und ich " besorge" ihm eine aus einem anderen Schlafraum. Ich gehe duschen und ignoriere die Einweisung, wasche meine Sachen mit warmem Wasser und hänge sie ans Bettgestell.
Eine weise Entscheidung, denn kurze Zeit später entlädt sich ein Gewitter über der Stadt und es regnet am geschlossen Fenster rein. So werden nur die Einlegesohlen noch einmal eingeweicht.
Holger sucht die Übernachtungen für die nächsten Tage und wir werden noch einmal Zug fahren müssen, um die Etappen unter 30 km bis zum nächsten Bett zu halten.
Das Zimmer füllt sich, wir werden zu fünft sein. Vor uns sind lauter ältere Pilgerinnen (65-75Jahre) angekommen und es werden noch mehr.
Kurz nach 18 Uhr gehen wir noch einmal los, um Essen zu gehen. Wir entdecken ein paar schöne, sanierte Häuser und wollen morgen früh noch einen kleinen Stadtrundgang machen.
Eine Pizzeria hat die Tür schon geöffnet und wir treten ein. Die Betreiber räumen noch Ware ein, doch wir bekommen schon die Karte und können bestellen. Holger kehrt heute zur Pizza zurück. Ich entscheide mich für Gnocci in Gorgonzolasoße mit Walnüssen. Sehr lecker. Dazu einen Rosé und der Tag endet perfekt.
PILGERFÜSSE🫣
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